Mit Volldampf zum Wasserfall: Von gebrochenen Armen in Norwegen und gekitteten Zähnen in Rom



Um nicht gleich Alarm auszulösen, sei hier gesagt, daß seit 27 Jahren immer alle Gäste, die mit mir unterwegs waren, heile nach Hause gekommen sind und weiterhin reiselustig sind, egal, was ihnen unterwegs passiert ist.

Land der Szene: Norwegen, Juni 1997.
An den ersten Zwischenfall kann ich mich gut erinnern. Es war auf einer Reise zu den norwegischen Fjorden.
Wir hatten uns einen Spaß daraus gemacht, jedes Mal, wenn es irgendwie möglich war und es eine landschaftlich schöne Stelle gab, für unsere Gäste einen Fotostopp zu machen.
Meine Reisen sind so konzipiert, daß man nicht den Bus-Sessel durch ewige Kilomterhechelei platt sitzt (und seinen Hintern noch dazu), also haben wir recht viel Zeit, den Ausflugstag oder die Strecke von A nach B auch ein wenig gemütlich zu vergammeln.
Schließlich möchte man hautnah an der schönen Landschaft sein.
Meine Gäste hatten auch ein Riesenvergnügen und nutzten natürlich jede Gelegenheit aus. Ein Wasserfall nach dem nächsten wurde lauthals mit einem langen „Fooootooostooop“ angekündigt.
Ein wenig hatte ich es fast schon bereut, denn in Norwegen gibt es zum einen unwahrscheinlich viele Wasserfälle und vor allem wahnsinnig viel tolle Landschaft.
Wir hätten am Ende mit Fotostopps die Reise auf 6 Wochen ausdehnen müssen.
An einem besonders schönen Expemplar der abrupt in die Tiefe stürzenden Wassermassen hatten sich dann alle irgendwie gegenseitig vor Freue so aufgeputscht, daß manch einer nicht schnell genug mit dem Fotoapparat aus dem Bus kam.
Und eine Dame preschte vor, verlor den Halt und kippte direkt an eine Felswand, die sich neben unserem Bus in der Haltebucht befand.
Zum Glück, dachte ich, dann kann sie nicht hinfallen. Aber dummerweise hatte sie, wie sich später herausstellte, Glasknochen, die durch kleinste Kleinigkeiten brechen. Und so war es dann auch. Ein komplizierter Bruch hatte sie heimgesucht.
Nichts wie ab ins Krankenhaus. Übersetzungshilfe meinerseits, wobei dann letztlich ein Arzt in Lillehammer sogar gut Deutsch sprach.

Lillehammer, das ist bekanntermaßen ein Wintersportort und Austragungsort der Olympiade 1994, also drei Jahre vor unserer Reise. Die Ärzte in einem solchen Ort sollten knochenbruch-gestählt und nach der Olympiade noch fit im Training sein.
Meine Kundin war in sehr guten Händen und konnte die Reise mit uns fortsetzen.
Leidtragender war aber auch ihr Mann, der fortan täglich zwei Personen an- und ausziehen musste, denn das konnte sie natürlich schwerlich selbst mit einem bandagierten, eng am Körper festgebundenen Arm.

Szenenwechsel.
Rom, die Sonne brennt, es ist affenheiß (sagt man das heute eigentlich noch so?) Es ist der Sommer 1993.

Auf einer meiner ersten Reisen nach Rom ist einem Teilnehmer das Gebiss gebrochen. Harte Pizza in Italien ist vom Teig her halt völlig anders als die in Deutschland für deutsche Geschmäcker gemachten Teigarten. Doch daran allein wird es nicht gelegen haben.
Wer weiß, was er heimlich noch alles genascht hat.
Also hieß es, einen Zahnarzt finden, italienisch den Gebißbruch erklären (nun ja, der Arzt sieht es ja auch erleichternderweise) und wieder einen zumindest halb freien Tag in einer Praxis verbringen.
Wir rätseln heute noch, mit welchem Beton der „dentista“ wohl die Beißerchen festgemeißelt hat. Die Zähne haben lange gehalten, der Patient klagte anschließend lediglich über ein sehr schweres Gefühl im Mund.
Egal, normal essen war wieder angesagt, und es ist tatsächlich allein für so manches römisches Frühstücksbrötchen von Nöten, daß die Kauleiste nicht gleich den Geist aufgibt.

Sehr belustigt erinnere ich mich hier an einen im Freundeskreis entstandener Begriff der „Katakombenbrötchen“ – außen super hart und eine echte Herausforderung für die Zähne, und innen ein Loch.
Ausgehöhlt, so wie es bei den römischen Katakomben vor den Toren der Stadt auch ist.
Zur römischen Ehrenrettung: Wir haben so manches Lokal gefunden, wo man hervorragend speisen kann.
Als Tipp – für mich allen voran – das Viertel „Trastevere“.
Bei anderer Gelegenheit erzähle ich dazu gern mehr.

Neues Land, neue Szene: Schottland im Jahre 2004.
Inmitten der einsamsten Highlands bemerkt ein Gast, daß er seine Medikamente für sein Rückenleiden zu Hause vergessen hat.
Es ist eine sehr starke Medizin ohne deren Einnahme er die Reise eigentlich nicht fortsetzen kann, da die Schmerzattacke unermeßlich sein würde.
Weit und breit ist allerdings auch kein Flughafen in Sicht, von dem aus wir ihn rasch nach Hause schicken können.
Wir gehen zum Arzt, und das sieht auf dem Lande in Schottland so aus: Es gibt in manchen Orten ein Gemisch aus Krankenhaus, Seniorenheim und Arztpraxis. Besetzt von einer oder mehrerer Krankenschwestern. Im Bedarfsfalle wird dann der Arzt von irgendwo aus der Nachbarschaft her zitiert und eilt rasch über den nächsten „Ben“ (schottischer Berg) und durchs nächste „Glen“ (schottisches Tal) zum Patienten.
Unser Arzt war allerdings gerade sogar bei uns vor Ort und wurde von uns zwei Aufgeregten mit Hilferufen zugetextet. Wir wollten ein bestimmtes Medikament erhalten, doch das erwies sich als morphiumhaltig und nicht einfach so verschreibbar.
Schließlich kannte der Schotten-Doc seinen zeitweiligen Patienten überhaupt nicht.
Ich habe bis heute nicht die leiseste Ahnung, welche Worte meines Redeschwalls ihn letztlich überzeugt haben, daß wir harmlos sind und wirklich nur diese Medizin zum schmerzfreien Weiterreisen brauchten. Es hat geklappt, und die Apotheke im Ort hatte es sogar auch zufällig vorrätig.
Patient gerettet, Reise gerettet, das schottische Hochland wartet!

Im Laufe der Jahre folgten noch mehrere Zahnarztbesuche wegen abgebrochener Brücken, ein gebrochenes Handgelenk in Gent, ein heiserer Sänger kurz  dem Konzert auf einer Chorreise, allergische Reaktionen auf Mückenstiche in der Provence, ein Sehnenabriss in Sorrent, ein Schlaganfall in Stockholm.

Ich habe mir angewöhnt, immer ruhiger zu werden, je heikler die Situation ist und habe mittlerweile eine Arzt- und Krankenhausadresskartei, die sich sehen lassen kann.
Nutzen möchte ich sie allerdings möglichst nicht mehr so oft.

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