Meine ganz persönliche Air-Berlin-Story

Es war einmal eine tolle Airline, die hieß LTU. Sie war der Liebling meiner Kunden, alle wollten mit ihr fliegen, und sie war in Düsseldorf stationiert. Die NRW-Airline schlechthin.
Sie hatte einen wundervollen und soliden Ruf bei den Fluggästen. Machte ich eine Buchung, kam immer die Frage nach der Fluggesellschaft, und wenn ich einmal einen anderen Namen als LTU nannte, dann kam ein Aufschrei: "Nur mit LTU"! Als würde man überhaupt keiner anderen Airline vertrauen können. 
So mancher Urlaubssuchende machte seine Buchung davon abhängig, ob er mit LTU fliegen konnte oder nicht.
Ich selbst habe meinen allerersten Flug mit LTU absolviert, und zwar nach Brasilien. Dieser tolle Flug hatte im Handumdrehen meine in den 1980ern  noch unüberwindbar erscheinende Flugangst weg gepustet. 
Das alles ist schon so lange her, dass sich ein Nebelschleier über meine Erinnerungen legt und ich nicht mehr genau weiß, was alles zur Abwendung der Insolvenz getan wurde und warum diese überhaupt passiert war. Ich weiß noch, dass es ein unglaubliches Hin- und Hergeschiebe gab. 
Anteile wurden verkauft, wieder gekauft oder übernommen, und zwar von allen möglichen Leuten, inklusive eines Modeunternehmers, der West LB und Rewe. 
Alles Firmen, die eigentlich überhaupt nichts mit dem Thema "Reise" zu tun hatten.
Aus dem Nebelschleier meiner Erinnerungen taucht dann auf einmal die Air Berlin auf und übernimmt die LTU inklusive 200 Millionen € Schulden. 
Meine LTU-abhängigen Kunden sind am Boden zerstört, misstrauen natürlich auch zuerst der Air Berlin, denn es ist ein Name, den man nicht kennt, und warum überhaupt auf einmal Berlin?
Was haben wir nicht alles an Aufklärungsarbeit geleistet? Uns den Mund fusselig geredet, dass man durchaus damit fliegen kann. Um ehrlich zu sein, wusste man es ja selber gar nicht, weil man die Fluggesellschaft auch nicht kannte.
Aber Neulinge brauchen auch ihre Chance, und immerhin war es keine Neugründung, sondern schon seit den 1970er Jahren ein Unternehmen in den USA.
Und schau doch mal, die haben sogar die schöne rot-weiße LTU-Lackierung übernommen, sieht doch genauso aus, steht nur aussen was anderes dran 😬. 
Selbst die gute junge Flugzeugflotte wurde übernommen. Klar, die schmeißt man ja nicht einfach weg. Und Piloten und Kabinenpersonal stehen doch alle immer noch bereit, warum also die 200 Millionen € Schulden noch weiter durch Experimente erhöhen?
Wer hätte gedacht, dass sich eine neue Erfolgsstory anbahnt, und meine Kunden am Ende ausschließlich mit Air Berlin fliegen wollten?

Und jetzt? Welche Situation wir nun haben, verfolgt man täglich am Fernseher. Im August 2017 meldete Air Berlin Insolvenz an.
Und ich, mit meiner Milchmädchen-Philosophie, die da lautet "Ich kann nur das Geld ausgeben was mir gehört, und die Gelder, die ich einnehme, gehören in erster Linie meinen Kunden und nur zu einem ganzen kleinen Teil mir", frage mich, wie man tatsächlich erfolgreich werden kann, wenn man schon mit 200 Millionen € Schulden beginnt. 
Der BWLer neigt natürlich jetzt dazu, mich da mal richtig aufzuklären, doch bei mir ist das zwecklos.

Wenden wir uns lieber wieder der vermeintlichen Erfolgsstory der Air Berlin zu.
Nach außen hin werden tatsächlich ständig Zuwächse gefeiert, aber wer weiß schon, ob in der ganzen Zeit das Unternehmen tatsächlich auch schwarze Zahlen geschrieben hat? 
Sorry, Air Berlin, das sind meine ganz persönlichen Fantasien, die ich natürlich nicht mit Zahlen und Fakten unterlegen kann.
Air Berlin eröffnete uns Möglichkeiten, Flugtickets ohne Pauschalreise zu verkaufen. Das war bis dato nicht möglich. Jetzt aber konnten wir auch all die glücklichen Personen einbuchen, die auf Mallorca eine Finca besaßen und nur den Flug brauchten. 
Danke, Air Berlin.
Und Air Berlin stationierte Flugzeuge auf dem Flughafen Dortmund. Was für tolle Aussichten für uns? Vom Dortmunder Süden aus zum Beispiel in 15 Minuten am Flughafen sein und über all hin fliegen. Das gefiel uns doch sehr. 
Danke, Air Berlin. 
Irgendwann sprang Air Berlin auf den Billigflug-Zug auf (was für ein Widerspruch 😀), oder hat sie ihn am Ende sogar selbst erfunden?
Ich verkaufte meinen ersten Flug von Dortmund nach Rom für sagenhafte € 50, was mir nach sicherlich einer Stunde Beratungs- und Abwicklungsarbeit, ausdrucken, Rechnungsstellung an den Kunden etc. einen satten Gewinn von € 2,- Euro einbrachte!
Danke, Air Berlin.

Immer wieder erinnere ich mich daran, wie eines Tages eine Agenturbetreuerin der Fluggesellschaft in meinem Büro aufschlug und mich in den Himmel lobte, wie viele "Paxe" wir schon bei Air Berlin eingebucht hätten!
"Pax" hat nichts mit dem lateinischen Wort für Frieden zu tun, sondern bezeichnet in der Touristik einfach Personenzahlen. 
Meiner "Betreuerin" musste ich jedoch mitteilen, dass ich bei der Preispolitik der Air Berlin von "Paxen" alleine kein Butterbrot kaufen könnte.
Was nützen mir 1000 Passagiere, wenn die alle nur für 50 € fliegen?
Da ist sie wieder, die Milchmädchen- Philosophie. 
Und wieder einmal lernte ich, dass der Erfolg eines Unternehmens und seine Größe anscheinend von der gebuchten Personenzahl abzuhängen scheint und nicht von dem Gewinn, den sie einem bringen.

Die Billigpolitik nahm weiter ihren Lauf, Air Berlin tat es der Lufthansa gleich und nahm uns die Provisionen weg. Ab sofort verdienten wir beim Flugverkauf gar nichts, wenn wir nicht ein Serviceentgelt nahmen. 
Danke, Air Berlin.

Irgendwann hatte sich dann auch der Kunde daran gewöhnt, dass wir ihm ein Entgelt abnehmen mussten, mit dem unsere teilweise stundenlange Beratung auch nicht wirklich kompensiert wurde, aber wir sind ja serviceorientiert und wollen uns unterscheiden von dem "Null-Service" im Internet.
Die stundenlange Beratung liegt übrigens nicht immer am Kunden, sondern an der Preispolitik unserer Fluggesellschaften und auch Reiseveranstalter, die sich einen Sport daraus machen, innerhalb von 15 Minuten die Preise zu erhöhen, aufgrund dessen sich der Kunde es sich erst wieder einmal überlegen muss.

Nun haben wir den Salat, Air Berlin ist insolvent, und die Kunden fragen uns täglich, ob man denn dort noch einbuchen sollte. 
Sie fragen, ob der Flug, den sie nach USA gebucht haben, denn überhaupt noch stattfindet. 
Sie fragen, ob sie ihr Geld zurückbekommen, wenn der Flug ausfällt.
Sie fragen Dinge, die wir in einer solchen Situation auch nicht voraus sagen können. 
Selbstverständlich erwartet der Kunde von uns, beruhigt zu werden, dass alles in Ordnung kommt.
Aber wie kann ich das tun? 
Bislang sind alle unsere Gäste gut in den Urlaub gekommen und auch wieder zurück. Niemand hat sein Geld verloren. Gäste sind umgebucht worden auf die Airline Fly Niki, die zur Air-Berlin-Gruppe gehört und angeblich nicht von der Insolvenz betroffen sein soll.
Ist das wirklich so? Ich weiß es nicht und kann es nur glauben.
Meine Milchmädchen-Philosophie sagt mir etwas anderes, aber auch ich möchte, dass alles wieder in Ordnung kommt, dass meine Gäste beruhigt fliegen können und Tausende von Mitarbeitern nicht ihre Jobs verlieren.

Diese Fluggesellschaft jetzt gar nicht mehr zu buchen, kann natürlich auch nicht die Lösung sein.
Keine Paxe - kein Überleben!

Im Rahmen dieses ganzen Dramas brachte mich  gestern eine E-Mail außer Rand und Band, die zur Teilnahme an einer Umfrage aufrief. Unsere Meinung war gefragt, ob Fluggesellschaften nicht auch verpflichtet werden sollten, die Kundengelder mit einer Versicherung abzusichern.
Nein, Ihr lieben Leute, auf keinen Fall sollten die das tun!!! 😡 
Macht einfach so weiter wie immer. 
Kassiert den Preis für das Ticket weiter direkt bei Buchung, auch wenn die schon zehn Monate vor Abflug erfolgt, und wir hoffen weiter, dass alles prima läuft.

Liebe EU, Du erlässt Gesetze, die uns Reisebüros künftig verpflichten, die Kundengelder abzusichern, wenn wir schon alleine zwei verschiedene Leistungen zusammenfügen, auch wenn ich beide Leistungen bei einem Reiseveranstalter buche, der an sich dafür verantwortlich ist. 
Ich soll ab Sommer 2018 dem Kunden erklären, dass er diese beiden Leistungen getrennt bezahlen soll, obwohl er beide bei mir gebucht hat, nur, damit er weiß, dass er keine Pauschalreise gebucht hat. Addiere ich beide Preise zusammen und kassiere die in meinem Reisebüro, muss ich das Geld absichern, das er bei mir lässt. Und ich muss vielleicht weiterhin gegenüber dem Reiseveranstalter meine Bürgschaft leisten, weil der mir ja schließlich Unterlagen schickt und eine Sicherheit haben möchte, dass ich die auch bezahle. 

Also wirklich, vor diesem ganzen Hintergrund bekomme ich doch tatsächlich das K…, wenn man mich dann fragt, ob eine Fluggesellschaft nicht vielleicht auch die Kundengelder absichern sollte.

Das ist eine Selbstverständlichkeit, der sich die EU schon längst hätte annehmen müssen. 

In diesem Sinne, es ist jetzt 9:20 Uhr, und ich sollte schon längst auf dem Weg in mein Reisebüro sein und mir dort die neuesten E-Mails über Air Berlin, jetzt auch Ryanair und sonstige neue Gesetze reinziehen und ganz nebenbei natürlich auch noch meine lieben Kunden beraten.

Das ist eigentlich genau das, weswegen ich doch meinen Beruf liebe und was ich überhaupt nur machen möchte.

(Danke an Lina für die Fotos)

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