Denn sie wissen nicht, wo sie sind


Wenn keiner reist, dann machen wir das eben selbst.

Noch immer sind die Menschen sehr zurückhaltend und buchen eher weniger. Das ist einerseits aufgrund der teilweise nicht mehr nachvollziehbaren Regelpolitik verständlich, aber auch unglaublich schade, denn es entgehen dem gerade jetzt Reisenden auch viele schöne Momente und Begebenheiten. Und als achtsamer Reisender geht es doch eigentlich richtig gut.

Vor allem entgeht einem, wie schön und angenehm so manches Reiseziel derzeit sein kann. Ruhig und irgendwie fast nur für mich allein.
Es sei denn, man fährt zur deutschen Nord- oder Ostsee.
Genau das tun wir gerade. Und warum? Weil wir gern einmal selbst empfinden möchten, wie es ist, Urlaub genau so zu machen, wie es von unserer Regierung seit einer gefühlten Ewigkeit gewünscht und als sicher eingeschätzt wird: Im eigenen Land.

Das ist natürlich ein Witz, denn privat würden wir diese doch sehr vollen Gebiete derzeit meiden, eben weil wir uns eher in Gefilde begeben möchten, wo es leerer ist. 
Der Grund für unsere Ostseetour ist vielmehr, uns über neue Touren und Hotels zu informieren. Immer am Ball für unsere Gäste, und vor allem immer am Ball mit den Zielen, die nun einmal oft gewünscht werden. 
Auch wenn wir dann unterwegs einmal gar nicht wissen, wo wir sind.

Kann das denn wirklich sein? Ein Reiseprofi weiß nicht, wo er/sie ist?

Nun, wir sind natürlich nicht verloren, haben nur einige komische Momente erlebt (und auch die machen das Reisen einfach schön), in denen wir uns gefragt haben, wo wir eigentlich gerade genau sind.

Aber der Reihe nach:

Angekommen in Wassersleben, ein Vorort von Flensburg. Oder eigentlich ein Vorort von Harrislee, der wiederum ein Vorort von Flensburg.... Aber egal. So genau müssen wir das gar nicht wissen. Es genügt, wenn die Einwohner wissen, wo sie leben.

Das Hotel Wassersleben liegt direkt an der Flensburger Förde, und zwar so schön, dass ich sofort aus dem Auto stürzen möchte, um ans Wasser zu kommen.
Das mit dem Stürzen nehme ich wörtlich und falle, in die Schlaufe meines Rucksacks getreten, direkt in den Parkplatz-Schotter.
Aua, das gibt spätestens morgen blaue Flecken. Und mein linker Schuh ist jetzt dreckig. Ich hatte ihn vorher extra sehr gewagt in die Waschmaschine gesteckt, beide natürlich, damit sie für die Reise richtig strahlen.
Das war´s dann also mit der Strahlerei. Nun, wenn ich überlege, dass es Menschen gibt, die besonderen Eindruck schinden, weil sie, bewiesen durch matschige Schuhe, als toughe Trekking-People gelten, bin ich jetzt eine von ihnen.

Das Zimmer ist klein, aber sehr nett und mit Fördeblick. Ich trete aus dem Zimmer nach draußen auf den Balkon - und im Umkehrschluss treten die Mücken ein vom Balkon ins Zimmer. Dann habe ich neben dem nettesten Ehemann von allen wenigstens noch weitere Gesellschaft heute Nacht.

Wir hatten ein sehr ausgiebiges Abendessen und machen noch eine Runde durch den Ort. Ziel ist die dänische Grenze, denn ich bin überzeugt, die ist quasi direkt neben unserem Hotel. Der netteste Ehemann von allen meint, nein, die ist genauso weit entfernt wie das Zentrum von Flensburg. Na ja, als Reisebusfahrer mit extrem langer Berufserfahrung muss er das ja wissen. Ich eigentlich auch.


Wir machen uns auf zur Verdauungsrunde, immer die Straße entlang. Links und rechts sehe ich schon dänische Geschäfte und alle Informationstafeln auf dänisch. Ist das hier schon Dänemark? Haben wir am Ende schon illegal die Grenze überschritten? Man muss in der aktuellen Situation schon von illegal sprechen, denn wir haben, ohne unseren brandneuen Impfausweis irgend jemandem unter die Nase halten zu können, der ihn eh nicht sehen will, vielleicht schon das Ausland betreten. Das Ausland, das ja, so hat man es uns in den letzten Monaten gelehrt, gemieden werden soll.
Und jetzt haben wir es betreten, ohne es explizit zu wollen?
Ich fühle mich schlecht.
Nein, stimmt nicht. Ich fühle mich überhaupt nicht schlecht, sondern extrem belustigt, weil wir gar nicht wissen, wo wir sind. 
Wir laufen weiter. Da steht: Bundesgrenze in 1 km. Die schaffen wir auch noch. In der Ferne sind Fahnen zu sehen. Nun lass uns doch wenigstens mal die dänische Flagge fotografieren, quasi als Beweis.

Dort angekommen, finden wir einen unspektakulären Kreisverkehr vor, an dem gerade ein Linienbus umdreht, um wieder nach Wassersleben zu fahren, den Vorort von Harrislee, oder Flensburg, oder.... ach was, das hatten wir ja schon.


Dummerweise ist es windstill, so dass sich die Fahnen keinen Millimeter bewegen, um sich dekorativ fotografieren zu lassen. Außerdem ist es schon dunkel. Was ich aber erkennen kann ist, dass es sich keinesfalls um den "Danebrog", das dänische weiße Kreuz auf rotem Grund handelt. Oder war es ein rotes Kreuz auf weißem Grund? Ich bitte, diese kurzfristige Unwissenheit zu entschuldigen, ich habe immerhin schon 17 Monate durch Corona ein wenig von meinem Beruf verlernt. Wer kann es einem verdenken?

Die Flagge hat auf jeden Fall rot, blau und weiß in sich. Wir sind in den Niederlanden, ganz klar, so frotzeln wir. Wer hätte das gedacht? So weit sind wir gelaufen!

Auf dem Rückweg habe ich es furchtbar eilig, denn mein Gin Tonic wirkt. Mit letzter Durchhaltekraft erreiche ich das Hotel. Geschafft. Wieder in Deutschland, wo wir wahrscheinlich die ganze Zeit immer noch waren.

Am Folgetag erkunden wir Flensburg, müssen aber, nachdem wir einige Hotels besucht haben, auf jeden Fall zum Ende des Tages einmal mit dem Auto dorthin fahren, wo wir gestern Abend herumgeirrt sind, denn wir möchten doch mal in einen der dänischen Läden. Nur zum Gucken, was es dort für Ware gibt. Ich erinnere mich daran, dass man in Dänemark immer gut Kerzen kaufen konnte, und leckere Remoulade, und Pølser, diese roten Würstchen.
Es ist auch von unermesslicher Wichtigkeit für mich als Vegetarier, mir das Sortiment von Würstchen anzusehen. Und auch die Remoulade würde ich gar nicht kaufen, denn wir haben noch 2 Wochen Reiseroute bis nach Polen vor uns. Was sollen wir dort mit Remoulade?
Aber gucken wird doch erlaubt sein.

Dort angekommen sind wir das einzige Auto mit deutschem Kennzeichen. Hab´ ich´s doch gewusst, wir sind schon in Dänemark. Aber es war gar keine Grenze dort. Warum verwirren die mich denn so?

Alles ist in dänischen Kronen ausgezeichnet, und über den Warenregalen steht "Vand", statt "Wasser" und "Öl", statt "Bier.
Für mich ist klar: Ich habe dänisches Hoheitsgebiet betreten. Oder doch nicht?
Ich bin total verwirrt. Wo sind wir hier denn nun eigentlich?
Auf jeden Fall sind wir die Exoten, denn es ist klar, dass dieser Supermarkt, in dem es übrigens keine einzige Kerze gibt, nur für Dänen ist, die hier wahrscheinlich extrem viel billiger einkaufen können als drüben in Dänemark.
Sagte ich "drüben in Dänemark"? Also sind wir noch in Deutschland.
Ganz egal, die Verkäufer wundern sich bestimmt, warum hier zwei Deutsche aufprallen und sich für ihre Verhältnisse viel zu teure Ware anschauen.
Wir stehlen uns langsam wieder davon und haben aber jede Menge Spaß bei diesem verwirrenden Abenteuer.

Denn wir wussten nicht, wo wir sind. 
Aber schön war´s.



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