Was passiert denn hier gerade? Reisewelt aus den Fugen? Nein, wir kämpfen!

Hallöchen aus dem Schlafzimmer. Oh nein, keine Sorge, es wird nicht intim, aber ich kann seit einiger Zeit halt schlecht schlafen. Alles wegen Corona, und da bin ich nicht allein. Deswegen poste ich auch mal aus dem Bett heraus, wie aufregend.

Bislang habe ich an dieser Stelle immer über die wunderbare Welt geschrieben, über alles was ich zusammen mit Reisegruppen erlebt habe.
Jetzt aber wird es auch mal ernst und nicht ganz so schön, und dieser Bericht richtet sich in erster Linie an meine jungen Kollegen/innen bzw. diejenigen unter ihnen, die noch nicht so lange ihr Reisebüro haben wie ich.

Ich möchte euch ermuntern, mutig zu sein in dieser schweren Zeit. In dieser Zeit, in der unsere „Partnerschaft“ mit den großen Veranstalterkonzernen auf eine harte Bewährungsprobe gestellt wird. In einer Zeit, in der auf einmal all das ins Gedächtnis kommt, was uns eigentlich schon immer gestört hat und jetzt das Fass zum Überlaufen bringt.
Ich möchte euch meine Geschichte erzählen. Mittlerweile haben nicht nur meine Kunden, sondern auch ihr mitbekommen, dass ich recht viel zu erzählen habe und das auch oft in Überlänge präsentiere. 
Wer sowas nicht mag, der sollte jetzt aufhören zu lesen.
Allen anderen wünsche ich, dass meine Entwicklung als selbständige Reisebürofrau Motivation zum mutig sein ist.

Ich habe mein Büro vor 30 Jahren eröffnet. Da war ich 28 Jahre alt. Ein Kind, würde ich heute schmunzelnd sagen. Ich bin zum Reisebüro gekommen wie die Jungfrau zum Kind, komme aus einer ganz anderen Branche, aber das könnt ihr in einem meiner älteren Posts gern nachlesen.
Ganz aufgeregt habe ich die wichtigsten Reiseveranstalter angeschrieben und eine Agentur beantragt. Ich sehe heute noch den alltours Agenturbetreuer vor mir sitzen, erhaben und mächtig, der mir erklärte, dass man an alltours als Reisebüro ja nun mal gar nicht vorbeikommt.
Was ich nicht bekommen konnte, anfangs, war eine TUI-Agentur.
Da musste man schon was ganz Besonderes sein. Ohne Ausbildung zu Reiseverkehrskauffrau lief da gar nichts. Solch eine hatte ich dann aber ein Jahr später als Aushilfe. Zack! Ausgetrickst und TUI-Agentur bekommen! Mann, was war ich stolz. Deutschlands größter Reiseveranstalter, und ich durfte den vermitteln. 
Ehe nun der Eindruck entsteht, dass ich womöglich hier einen Abgesang auf diesen Konzern singe, lasst mich hervorheben, dass die TUI natürlich in der Tat nicht unwichtig für uns ist.
Damals habe ich dann den Agenturvertrag jubelnd unterschrieben, auch alles genau durchgelesen, aber schon bei der Unterschrift nicht mehr gewusst, was drin stand.
Jedes halbe Jahr kam mich dann der Agenturbetreuer besuchen, um mit mir sogenannte Zielvorgaben auszuhandeln. Ein komisches Wort.
Dieser TUI-Mann war zudem noch etwa in dem Alter meines Vaters, so dass ich wirklich gehörigen Respekt hatte. Z i e l v o r g a b e n, wie sollte ich die erfüllen? Das war wie ein Blick in die Glaskugel. Er wollte unbedingt eine Zahl notieren, die ich an Umsatz vorhatte zu erreichen, aber ich wusste nicht, welche das wohl sein soll. Ich hatte doch keine Ahnung, welche Kunden was buchen und wieviel sie dafür ausgeben wollten.
Ich kam mir vor wie ein kleiner Schüler, der eine Hausaufgabe bekommt.
Aber all das habe ich Jahr für Jahr mitgemacht, weil ich ja auf jeden Fall diese Agentur behalten wollte. Und mit anderen Veranstaltern lief es ähnlich.
Es entstand ein enormer Druck, irgendwie zu versagen und dann von der ohnehin nicht üppigen Provision noch wieder etwas zurückzahlen zu müssen.
Und glaubt mir, das habe ich oft genug getan - und gelitten.
Warum, so habe ich mich manche Jahre gefragt, straft mich ein Veranstalter ab, wenn ich sein Umsatzziel nicht erreiche, nur weil der Kunde halt woanders ein Produkt mit besserem Preis-/Leistungsverhältnis bekommt?
Es ist nicht meine Schuld, wenn der eine oder andere Anbieter nicht läuft. Und ich konnte das nie, dem Kunden einfach knallhart ins Gesicht sagen, dass das billigere Angebot leider ausgebucht ist und er jetzt das teurere bei XY buchen muß. Ich war felsenfest der Meinung, der sieht auf meiner Stirn geschrieben, dass ich ihn anlüge.
Wie schaffen das andere Kollegen, so habe ich mich oft gefragt.
Und dann kam wieder der Agenturdienst mit der gefürchteten Frage: „Was können wir denn mal für Sie tun, damit sie mehr buchen?“ 

Heute bin ich so mutig zu sagen: „Macht einfach ein vernünftiges Produkt, das für alle bezahlbar ist. Sonst kann ich euch nicht verkaufen.
Und vergütet das ohne Repressalien.

Ich habe Hochs und Tiefs beim Umsatz gesehen, habe derbe Provisionen zurück gezahlt, aber natürlich auch gute Jahre gehabt.
Ich bin von Außendienstlern besucht worden, wenn ich gut war, und bin komplett vergessen worden wenn ich schlecht war.

Ich habe bitter feststellen müssen, dass meine Provision nicht annähernd dieselbe ist, wenn ein Gast storniert. Dann bleibt ein Löwenanteil beim Veranstalter, und ich habe für meine Arbeit so gut wie nichts mehr.
Dazu kommt verschärfend, dass mir der Stornobetrag noch nicht einmal zu meinem Umsatz gezählt wird.
Ganz deutlich als Beispiel: Der Kunde storniert und hat Stornokosten von € 2000,-, die an den Veranstalter gehen, und diese Summe zieht dieser mir von meiner Umsatzbilanz ab! Geht’s noch?
Am Ende heisst es dann, sorry, aber ihnen fehlen leider € 2000,- Umsatz, dann müssen wir sie jetzt leider in der Provision zurückstufen.
Wir werden ihnen in den nächsten Wochen dann 3% des Gesamtumsatzes wieder abbuchen. Vielen Dank.
Und ich zahle meinen Lohn zurück wie ein dämlicher Trottel.
Und um wieviel trotteliger als ich sind dann bitte schön noch die Reisebüros, die ihren Kunden auch noch Rabatte gewähren!?
Das muss ich an dieser Stelle auch einfach mal loswerden. Auch ich habe mich in den ersten Jahren dann und wann dazu erweichen lassen, weil ich dachte, dadurch binde ich die Kunden.
Das ist ein Trugschluß! Ihr bindet den Kunden nur durch überzeugendes Wissen, gute Beratung und Betreuung. Kunden, die nur auf Rabattjagd sind, gehen das nächste Mal woanders fragen, da klappt´s vielleicht auch. Ich bevorzuge Kunden, mit denen ich mich auf Augenhöhe befassen kann. 100% Preis für 100% Engagement, wobei letzteres, da wir alle unseren Job lieben, sogar bei 150% liegt.
Ich schätze mich mittlerweile glücklich, von diesen Menschen sehr viele in meinem Kundenkreis zu haben. Ein Riesendank auch an dieser Stelle.

Aber ich schweife ab, da ist sie wieder, die Ausschweifende....

Je älter ich aber geworden bin, desto mehr Mut habe ich mir angearbeitet. Gegenüber den Veranstaltern.
Zieht mir einer meine Provision wieder ab, muss ich am Jahresende zurückzahlen und werde für die folgenden Buchungen weniger entlohnt (für dieselbe Arbeit, versteht sich), tue ich offen und ehrlich kund, dass ich so nicht mehr motiviert bin, meine Kunden für das Produkt desjenigen Veranstalters zu motivieren. 
Ich habe es vor 3 Jahren durch exerziert, und ich nenne jetzt mal keine Namen, aber jeder von euch Fachleuten weiß, was ich meine.

1. Mietwagen? Bekomme ich woanders zu gleichen Konditionen.
2. Flugtickets? Kann ich über andere Quellen beziehen.
3. Klassische Warmwasserpauschalreise? Bekomme ich überall.
4. Hotels? Direkt bei denselbigen oder über Portale.
5. Ferienhäuser? Gibt es andere Quellen wie Sand am Meer.
6. Expedientenermäßigungen? Im Ernst? Wieviel muss ich denn dafür erstmal umsetzen und wieviele blöde „Expipunkte“ muss ich denn dafür erstmal sammeln? Und den Urlaub, den ich bevorzuge,  bekomme ich bei unseren Veranstaltern sowieso nicht.

Damit sind wir dann mal fertig.
Klar, die damit angesprochenenVeranstalter bewegen sich dadurch keinen Meter in meine Richtung, aber ich, ICH! habe dabei ein befriedigendes Gefühl.

Und vertraut da auch euren Kunden. Sie sind mehr auf eurer Seite als ihr glaubt, das seht ihr doch alle jetzt, wo wir mal bekannt machen, wie es uns gerade geht.
Bietet ihnen was anderes Schönes an. Sie werden es verstehen und sich gern lenken lassen, denn sie vertrauen euch. Seid mutig und sagt ihnen, dass bei der Reise, wenn ihr sie für ihn da oder da bucht, genauso etwas Gutes rauskommt, er nicht enttäuscht wird und alle ein gutes Bauchgefühl bei diesem Urlaub haben.
Ich habe mich das früher auch nicht getraut. Aber seit längerer Zeit habe ich den Mut dazu und das Selbstvertrauen. Ich weiß, was ich kann, und ich weiß auch genau, was ich meinem Kunden anbieten kann. Und auch ihr jüngeren Kollegen könnt das mal wagen.

Jetzt geht es in dieser grausamen Situation um unser Überleben, und auch da traut sich mancher von euch nichts, oder viel zu wenig.
Wäre ich jetzt noch 28 oder 30, wäre ich wahrscheinlich in derselben Situation und würde stillschweigend alle Vergütungen, die ich schon bekommen habe, zurückzahlen, weil die Reisen alle storniert werden. Oder aber ich würde weinen, dass ich die Provisionen nicht mehr bekomme, für die ich im Schnitt mit 8 Stunden Arbeit pro Buchung wahrscheinlich nicht auskomme.
Ich würde mich ohne Gegenwehr pleite machen lassen.
Ich habe beraten, empfohlen, der Kunde ist nochmal überlegen gegangen, kam wieder, war das Angebot ausgebucht, wieder suchen, beraten, empfehlen, Preise vergleichen, Erfahrungsberichte geben, Einreise- und  Gesundheitsbestimmungen erläutert, an Reiseschutz  gedacht, Sitzplätze reserviert, Wünsche ans Hotel übermittelt, Ausflugstipps gegeben, bei Landausflugsbuchungen geholfen, für die es übrigens gar keine Provision gibt.
Ach, und dann heisst die Kundin gar nicht Gerda, sondern im Pass steht Gertrud, das ist aber erst hinterher aufgefallen. Veranstalter anrufen, Warteschleife, dann betteln, dass er das nochmal kostenfrei ändert. Ja, wir wissen, dass der Veranstalter dafür Umbuchungsgebühren haben will, aber jetzt soll er sich doch mal nicht so anstellen, wir wollen doch dem Kunden helfen. Der hat doch nicht gewusst, dass das so wichtig ist. 

Dann kommen die Reiseunterlagen. Ach nein, die gibt es ja fast gar nicht mehr in Urlaubsvorfreude-schön, sondern nur per Email. Der Ausdruck geht dann zu unseren Papier- und Druckerlasten, der Veranstalter spart sich das schön ein. Sagt dann aber, wir müssen das ja nicht ausdrucken, sondern können dem Kunden das doch auch per Email schicken.
Dem Kunden ein bisschen Urlaub in die Hand geben, das möchten wir aber dann doch noch, oder?

All diese Sparprogramme fruchten, weil der Veranstalter ja ein paar Dumme hat, die das dann für dieselbe Provision auch noch machen.
Die das machen, weil ihnen ihre Kunden am Herz liegen. Das ist etwas, was Großkonzernen kein Begriff mehr ist, denn in deren Herzen liegen Aktien und Vorstandsgehälter. 

Last, but not least ist nun all das oben Erzählte die lange Vorgeschichte, warum ich gerade jetzt allen Mut machen möchte, sich zu wehren.
Jetzt sind alle Buchungen für die nächsten Monate weg. Und für all die oben erwähnte Arbeit sollen wir nun den Veranstaltern die Provision zurück geben oder darauf verzichten?
Diese Provisionsrückzahlungen, zusammen mit Staatshilfen, sichern den Veranstaltern die Liquidität. Und uns treue Lämmer führt man zur Schlachtbank?
Wie klingen denn dann die ganzen Beschwörungen „Wir bringen die Kunden zu Ihnen ins Reisebüro“. „Wir lassen Sie nicht im Stich.“
„Ihr seid und bleibt unsere wichtigsten Vertriebspartner.“
„Wir wollen nur euer Bestes.“ Oh, das sind ja eure Provisionen, uups, sorry.

Also, jetzt nicht mehr alles hinnehmen. Nicht sagen, ich traue mich nicht. Das habe ich erst sehr spät im Alter gelernt. Ihr solltet es früher lernen.

Wir haben im Moment nichts, aber auch gar nichts zu verlieren.





 









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