Nicht die Serviette anfassen! Service zum Verrücktwerden auf Queen Victoria

An Bord gehen. Eine andere Welt entdecken. Die Reederei Cunard hat diese traditionellen Ocean Liner.
Ich wusste es, als ich meinen besonderen Kurztrip mit der Queen Victoria buchte. Ich wusste, daß ich hier im viktorianischen Zeitalter landen würde.
Zumindest, was die Dekoration anbetrifft. Es war zu erwarten, daß mich britischer Service überrollen würde, mit all seinen Fein- und Besonderheiten. Sehr angenehme, wie auch echt schrullige.
Sollst Du mir folgen und eine Kreuzfahrt dieser Art buchen? Wenn Du all das magst, was ich an dem Wochenende erlebt habe, dann ja.

Ein Taxi spuckt mich am „Queen Elizabeth II Terminal“ in Southampton aus. Während ich die Halle in Sekundenschnelle scanne, um zu überlegen, wo ich einchecken muß, kommt auch schon ein beflissener Mensch auf mich zu, der unsere Koffer entreißt - auf freundliche Art und Weise natürlich. Ich will rasch noch den mitgelieferten Kabinenanhänger ans Gepäck basteln, doch das nimmt er mir auch schon ab. 
Meine Frage, ob wir unsere Sachen jetzt erst auf der Kabine wiedersehen, hallt noch nach, da ist er weg. 

Und da ist sie auch schon: Die legendäre englische „Queue“, eine ordentlich Schlange vor den Check-in-Schaltern.
Nichts wie hinten angestellt und sich wundern, wie gesittet alles zugeht und vor allen Dingen schnell. Innerhalb kürzester Zeit sind die Bordkarten ergattert und unser Konterfei im Victoria-Bordcomputer gespeichert. „You are looking nice“, versichert die Dame vom Hafenpersonal. 
Ich möchte es glauben, obwohl mich die Erinnerung an den letzten Abend in London beim guten Wein und wenig Schlaf zweifeln lässt.
Wenn man sich dann noch klar macht, daß der Brite ja zum „Understatement“ neigt, also zum Untertreiben, dann hätte das „nice“ ja in Wirklichkeit sogar „großartig“ bedeuten können. Aber das diskutiere ich lieber weder mit mir, noch mit sonst wem.


Camilla, die Herzogin von Cornwall und hauptberuflich Gattin des Thronfolgers, empfängt als weiße Dame die Passagiere. Sie ist die Taufpatin des Schiffes, das im Jahre 2007 vom Stapel lief. Ich bin einige Male an Ihrer Hoheit vorbei gelaufen, weil ich immer wieder prüfen wollte, ob das nun ein Foto oder gemalt ist. Und es irritiert mich, daß sie wahrscheinlich abgebildet wurde, als sie gerade einmal vier Jahre älter war als ich es jetzt bin.
Ich bin nicht mehr weit entfernt von ihrem damaligen Alter.
Warum muß man sich als Frau mit solchen Überlegungen immer so weh tun?

Ein erster Schiffsrundgang ist verwirrend. Ich streune orientierungslos umher. Aber das geht einem wahrscheinlich auf allen großen Schiffen so. 
Diese Queen fasst immerhin fast 2000 Passagiere und ist eben nicht gerade winzig.
Da ist der riesige Treppenaufgang, der mich an Bilder der Titanic erinnert. Man möchte da rauf und runter schweben, hat aber für die richtige Wirkung gerade nicht die passende Kleidung an.

Eine superschöne Uhr steht oben am Eingang zur Shoppingmeile und mahnt wahrscheinlich, daß es Zeit ist, etwas einzukaufen. Das kommt für mich aber nicht in Frage, denn ich muß sagen, das Preisniveau ist echt hoch. Zudem kommt mach amerikanischem Prinzip gerade auf unserer Strecke noch die Mehrwertsteuer  mit 20% hinzu und auch noch eine Servicegebühr von 15%.
Wie gut, daß ich gar nichts brauche, außer vielleicht mal einen stilvollen Drink an der Bar genießen. Das gönnt man sich ja nun doch, zumal das Ambiente wirklich zum Genießen ist. Aber halt, die Bars sind unterschiedlich sortiert und ausgerichtet. Mein spontaner Entschluß, in der „Gin- Fizz“- Bar einen Wein zu trinken, ging gehörig daneben, denn es ist ja nunmal eine Gin-Bar. Und mit welcher Auswahl an Longdrinks, das ist kaum zu glauben.

Zum Mittagsimbiss geht es in das Lido-Buffet-Restaurant. Hier verspricht Cunard, daß lässige Kleidung erlaubt ist. Das interpretieren allerdings viele Gäste über, wie mir scheint. Ich habe wirklich selten so viele gräßlich gekleidete Menschen gesehen. Manche Kleidung aus Second-Hand-Charity-Shops sind dagegen Luxusware.
Ich meine es ernst, und habe es auch an die Reederei geschrieben: Hier muß mal durchsortiert werden. Es ist kein schöner Anblick. Ich merke, daß der Ruf der Luxusreederei mir hier einfach komplett andere Vorstellungen in den Kopf gepflanzt hat.
Auch wundert mich, daß es eine bei Ankunft schon recht betrunkene deutsche Herrengruppe auf diesen Oceanliner geschafft hat.
Es mag an dem günstigen Kurztrip liegen, daß sich hier auch eine, nennen wir es mal bunte Passagiermischung einfindet.

Mit einer gehörigen Portion Humor und Freude am Menschen beobachten, über die mein Mann, unsere Freunde und ich glücklicherweise verfügen, ziehen wir daraus aber auch noch ein echtes Reiseerlebnis.

Zum Abend dann, im Britannia-Restaurant, sieht es anders aus. „Informal style“ ist angesagt. Auch relativ harmlos eigentlich und sollte niemanden abschrecken. Eine nette Hosen-/Blusenkombi oder Kleid für die Dame und Jackett für den Herren, ohne Krawattenzwang.
Das ist für mich völlig in Ordnung und doch auch mal ganz schön.

Die Speisenauswahl und -zusammenstellung kann sich sehen lassen, vor allem weil wir ja mit unserer „einfachen“ Kabine nur in die zweite Klasse fallen.
Ja, es ist wahr. Die Reederei verfolgt ganz bewusst noch das Prinzip der zwei Klassen. Passagiere mit gebuchten Luxuskabinen bekommen ein anderes Restaurant zugeteilt. Wobei man als Normalsterblicher auch durchaus gegen Aufpreis in den Genuß noch besserer Gastronomie kommen kann.

Damit hat Cunard aber keine Alleinstellung mehr. Ehe Ihr nun verständnislos die Nase rümpft, schaut Euch mal das Konzept von TUI-Cruises an. 
Auch hier kann man Ähnliches entdecken.

Mir ist der Service im Normalo-Restaurant auf jeden Fall schon mehr als genug. Ich bekomme den Stuhl zurecht geschoben, begehe den fatalen Fehler, meine Serviette anzufassen und mir selbst auf den Schoß zu legen und brüskiere damit wahrscheinlich den Kellner, dessen Aufgabe das doch ist.
Ein anderer Kellner ist für die Softdrinks und Wasser zuständig und ein weiterer, in andersfarbiger Weste, stellt sich als unser Sommelier vor. 
Hier bitte nur den Wein bestellen!
Die Essenswünsche nimmt wieder jemand anders auf. Es ist ein Service zum Verrücktwerden, aber ich stelle fest, daß das manchmal ganz witzig zu erleben ist. Daß es sowas gibt!? Alles ist wirklich so traditionell angehaucht.
Ich mache mir einen Sport daraus, auch noch die geringsten Unterschiede in der Jackenform der Kellner festzustellen. Jede Falte, jeder Einschnitt in der Weste oder im Jackett bedeutet einen anderen „Dienstgrad“.

An längst vergangene Tage erinnert auch ein Ballsaal, ein plüschiges Theater oder ein musikalisches Quartett. So muß es zur viktorianischen Zeit auch gewesen sein. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt.
Dieser kann man allerdings entfliehen und „zurück in die Zukunft“ auf Deck 9 die Commodore-Bar besuchen. Hier kann man unter einem irren Deckenleuchter abzappeln zu DJ-Musik, modern und locker, und verzichtet gleichzeitig darauf, noch irgend ein Wort seiner mitreisenden Freunde zu verstehen.

Zum Beruhigen schaue ich mir dann noch die hoch gelobte Bibliothek an und muß sagen, die ist  mehr als einen Abstecher wert. Ich möchte zwar nicht 7 Tage Atlantikpassage nach New York auf diesem Schiff verbringen, aber wer eine Leseratte ist, der findet auch für so viele Tage ganz sicher die passende Lektüre. Die Auswahl, und vor allem die Präsentation ist überwältigend. 


Ich falle ins Bett, überrollt von den vielen neuen Eindrücken, schlafe „historisch-entrückt“ ein und ahne noch nichts von dem Service, der mich am nächsten Morgen beim Frühstück überrollt. Auch hier darf ich meine Serviette nicht selbst auf den Schoß legen, mache das eigentlich beim Frühstück doch sowieso nie, entkomme aber auch dem Kellner nicht.
Es wird ein Frühstücksmenü geben, bei dem unter anderem zwischen „Breakfast Entrées“ und „Side Orders“ unterschieden wird. Es gibt einen Orangensaftkellner, einen für Kaffee und Tee und einen für die feste Nahrung. Service zum Verrücktwerden, wie gesagt.

Aber davon weiß ich ja am Abend noch nichts und träume mich erstmal in einem übrigens hervorragend bequemen Bett in den nächsten Tag, träume von Camilla, die in der Gin-Fizz-Bar die Cocktailkarte rauf und runter trinkt, und von Prinz Philipp, der im Ballsaal den Eintänzer gibt und mir mit einem seiner legendären Fettnäpfchensprüche entgegenschleudert, was ich hier überhaupt will, wo ich doch in der Tanzschule Conradi nur den ersten Kurs mit Standardtänzen halb erfolgreich abgeschlossen habe.

Gute Nacht.


















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