So war Reisen in den 90ern - Ein bisschen Wehmut

Heute hätte ich im Reisebüro am liebsten einen Wutanfall bekommen, als sich mal wieder die Flugpreise im Minutentakt änderten, als die Gäste wieder einmal etwas extra zahlen mussten, weil TUIfly nur 15 kg Gepäck erlaubt oder als ich keine logische Erklärung dafür hatte, warum man für einen Sitzplatz vorne im Flieger bei gleicher Beinfreiheit mehr zahlen soll als weiter hinten. 
Und als ich schließlich am liebsten einen der Reisekataloge an die Wand geklatscht hätte, weil die Preise darin mit den aktuellen Preisen mal wieder nicht übereinstimmten, da  kamen plötzlich die Erinnerungen an die Zeit vor über 25 Jahren.
Viele, die meine Berichte lesen, werden damals vielleicht noch in die Windeln gemacht haben und von all den Dingen nichts verstehen, aber viele wiederum werden sich auch erinnern und bestimmt genauso wehmütig werden wie ich.

In den 90ern gab es eine Fluggesellschaft mit schönen roten Flugzeugen. Darauf stand fett geschrieben: LTU.
Es war unsere Charterfluggesellschaft Nr. 1. Heimatflughafen Düsseldorf. Die Mehrheit meiner Kunden brach völlig zusammen, wenn ich Ihnen eine Pauschalreise anbot, bei welcher der Flug nicht mit LTU war. Ja, da haben sich Szenen im Reisebüro abgespielt!
Man hatte Mühe, die Gäste von Germania, Aero Lloyd, Air Europa oder Hapag Lloyd zu überzeugen.
Condor ging ja noch, ist ja schließlich auch heute noch Lufthansa-Tochter, also vom Mutterhaus aus schon solide und vertrauenswürdig.
Aber LTU, das war unsere NRW-Welt. Urlaub fing mit LTU in Düsseldorf an. Man stieg ein, bekam nach dem Start einen Sekt spendiert, es gab ein richtiges Frühstück oder ein richtiges Mittagessen. Kaffee und Getränke mehrmals während der Reise. Für Kinder gab es Malbücher inklusive Stiften und auch mal ein aufblasbares Flugzeug. Eine gute Idee, denn schließlich schwammen die dann im Mittelmeer für die LTU Werbung.
Mein allererster Flug, nach Recife in Brasilien, ging mit LTU, und man bekam ständig Essen und Getränke, eine Schlafmaske für den Nachtflug und witzige Pantoffeln für die Gemütlichkeit.
Kissen und Decken - na klar. Auch das war vorrätig.
Auf vielen Fernstrecken durfte man zwei Gepäckstücke à 32 kg mitnehmen, das Bodenpersonal war so kulant und ließ zwei Koffer zusammen wiegen. Hatte der eine mehr, der andere weniger, war es absolut in Ordnung. Heute habe ich schon Menschen am Flughafen mit offenen Koffern gesehen, die ihre Klamotten umpacken mussten, damit beide Koffer nicht über 20 kg bzw. 15 kg haben.
Das ist alles etwas kleinkariert.
Bei Übergepäck wurden ziemlich viele Augen zugedrückt, und man wurde freundlich gefragt, wo man denn wohl sitzen möchte: Fenster, Gang, Mitte. Familien und Paare, wenn sie nicht gerade kurz vor Toresschluß am Schalter ankamen, hatten keine Sorge, zusammensitzen zu können.
Heute platzieren die Fluggesellschaften die Gäste knallhart getrennt wenn sie nicht schon vorher, am besten natürlich gegen Aufpreis, Plätze reserviert oder online eingecheckt haben.

Gebucht wurde damals bei Veranstaltern wie Transair, Tjaereborg, Touropa, Sharnow, Hummel, Air Marin, Fischer Reisen oder Jet Reisen.
Gibt´s alle so nicht mehr. Nun gut, das passiert in jeder Branche. Firmen kommen und gehen.
Aber es waren tolle Reiseveranstalter, bei denen kompetente Menschen saßen, die ihre Programme haargenau kannten.
Wie sehr vermisse ich das rollende "R" in der Stimme der netten Jahn-Reisen-Mitarbeiter aus München: "Jahn Rrrrreisen, grrrrüß Gott". 
Transair, das war für mich eines der besten Preis-/Leistungsverhältnisse der schillernden Urlaubswelt. 
Bei Jet Reisen gab es tolle Fernreisen, Air Marin hatte ein mega USA-Programm, wo eigentlich alles an Kombinationen möglich war.

Kataloge gab es zweimal im Jahr. Wir wurden quasi zugeschüttet mit Tonnen von Papier. Ja, das ist nicht umweltfreundlich, aber die Nachfrage an gedrucktem Material war auch überirdisch, denn es gab kein Internet mit Bildmaterial.
Wenn im Dezember die Sommerkataloge kamen, konnten wir die Massen gar nicht so schnell auspacken wie unsere Kunden sie haben wollten.
Man hatte verlässliche Preislisten, die stabil waren, ob ich früher oder später buchte. Die einzige Gefahr, die lauerte, war, daß das Wunschhotel ausgebucht war.

Die Kunden kamen mit Katalogen ins Büro, die mit Spickzettelchen übersäht waren. Für den Fall, daß ein Hotel ausgebucht war, gab es gleich den Alternativwunsch Nr. 2,3 oder 4.

Dann merkten die Veranstalter, daß sie oftmals zu viele Kapazitäten eingekauft hatten, die man nicht los wurde, und so erfand man "LAST MINUTE".  Der Kunde wurde regelrecht darauf getrimmt, erhoffte er sich doch von nun an immer und für jedes Wunschhotel einen billigeren Preis.
Abwarten, ob das Hotel nicht noch günstiger wurde, war an der Tagesordnung. Ein nicht sehr einfaches Los für den Reiseverkäufer, zumal ein Last-Minute-Schnäppchen natürlich große Flexibilität vom Urlaubshungrigen verlangte - was bei weitem auf die wenigsten zutraf.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie wir Angebot um Angebot vorstellten, der Preis dem Kunden nicht gefiel und er daraufhin fragte: "Und wenn Sie nochmal bei Last Minute gucken?"
Als wäre das ein extra Veranstalter für Schnäppchen. Das englische Wort, das lediglich "auf die letzte Minute" bedeutete, wurde nicht so ganz richtig interpretiert.
Heute schulen die Reiseveranstalter die Kunden wieder um, oder versuchen es zumindest, denn wer spät bucht, tut seinem Portmonnaie meistens richtig weh.

In den 90ern blieb man noch 3 oder 4 Wochen im Urlaub. Das brachte echte Erholung. Bis heute hat sich die durchschnittliche Urlaubszeit der Menschen auf 8-12 Tage heruntergeschraubt, erwiesenermaßen zu kurz, um tatsächlich Entspannung zu spüren.

Wir sortierten und verglichen Preise, damit der Gast auch den günstigsten Anbieter bekam. Das ist auch heute noch so, doch arbeiten wir längst mit Preisvergleichssystemen, sogenannten Buchungsmaschinen im Internet.

Internet, das gab es auch nicht. Wie man gebucht hat? TELEFON!!! Der Klassiker: Anrufen, Plätze abfragen, nicht frei, auflegen. In dem Moment fiel dem Gast eine Alternative ein. Anrufen, Plätze abfragen, ja, geht, auflegen, mit dem Kunden durchsprechen, er will, ok, wieder anrufen, jetzt Platz leider weg, auflegen, Alternativen anhören und das Ganze von vorn.
Das ist heute natürlich viel einfacher. Wenn nur die Preise sich nicht im Minutentakt nach oben schrauben würden und man den Eindruck gewinnt, die machen das extra.

Irgendwann bekam ich das erste BTX-Gerät (Bildschirmtext). Ein komischer Kasten, so eine Art Telefon-/Bildschirm-Mix, ein beigefarbener Klotz mit Minibildschirm und Hörer oben drauf, auf dem man sich erst umständlich in eine eigentlich noch unheimliche Welt einwählen musste. Es piepste, wenn man eine Verbindung hatte.
Ich erinnere mich noch genau, daß ein Aufrufen des Internets mit enormen Kosten verbunden sein konnte. Flatrates kannte man nicht.
Somit hatte ich natürlich entsprechende Panik beim ersten Herstellen einer Leitung und dachte wahrscheinlich, daß meine Telefonrechnung mich gleich in die Pleite reiten würde, wenn ich nur einmal zu lange die BTX-Verbindung halten würde.
Der Bildschirm war sehr klein und schwarz-weiß. Heute, auf eine Lesebrille angewiesen, würde ich überhaupt nichts mehr darauf erkennen.
Nach der Kundenberatung wurde dann dieser Kasten in Nullkommanix wieder abgeschaltet. Man weiß ja nie, wie die Kosten explodieren, wenn man sich nicht sofort wieder abkabelt.

Dann war der Traumurlaub gebucht und die Reiseunterlagen kamen ins Büro. Manchmal gab es einen Reiseführer dazu, zumindest aber ein kleines Infoheft mit Tips zu Ausflügen vor Ort, einer kleinen Übersichtskarte des Urlaubslandes, sowie wichtige Hinweise über Wochenmärkte, Essen, Trinken, etc.
Flugtickets gab es noch so richtig zum anfassen und rausreißen durch das Bodenpersonal. 
Im heutigen Onlinezeitalter braucht man allerdings wirklich keine Coupons mehr als Abrechnungsmittel. 
Nur wollen uns einige Reiseveranstalter weismachen, der Kunde wünsche das so. Schliesslich hätte das eine Umfrage eindeutig ergeben. 
Nun, meine Kunden hat man hier nicht gefragt und die von vielen Kollegen, wo man auch hin hört, auch nicht. 
Wo sitzen also all die Fans solcher nichtssagenden billigen Zettel?
Die Reiseunterlagen sind langweilig und einfältig geworden. Man reist mit einem DIN-A-4-Blatt, bei dem nicht soviel Reisefieber aufkommt wie bei den damaligen bunten Heften oder Dokumentenmappen. Von Kofferanhängern gar nicht zu reden. Gibt´s so gut wie nicht mehr.

Der Vorteil, kein Flugticket mehr zum Herausreißen zu haben, ist jedoch der, daß bei Verlust ein solches Dokument heute einfach nochmal ausgedruckt werden kann.
Ich erinnere mich noch an verzweifelte Kunden, denen ihr Flugticket aus unerklärlichen Gründen hinter die Wohnzimmerschrankwand gefallen war, womit sich eigentlich die Teilnahme an der Flugreise erledigt hatte, es sei denn, man forderte ein neues Ticket an und zahlte eine Gebühr dafür.
Flugticket weg brachte einen in echte Not.

Im Hotel angekommen, freute man sich auf Sonne, Strand und Meer ..... und Frühstück oder Halbpension.
All inclusive gab es nicht, und ich hätte mir niemals träumen lassen, daß das einmal ein solcher Renner würde, an dem niemand vorbei kommt. Ob man es nun gut findet oder nicht - Europa und auch etliche Länder der restlichen Welt schwimmen auf der Welle, die Gäste rundum zu verpflegen. 
Ein Konzept, das gedacht war, um dem Gast einen festen Reisepreis zu bieten und ihn seine Nebenkosten besser einschätzen zu lassen, hat sich dazu entwickelt, daß viele Gäste ihre Hotelanlage nicht mehr verlassen, um einmal ein örtliches Restaurant zu besuchen und einheimisch zu essen.
Sehr zum Leidwesen der örtlichen Gastronomie, die dadurch vielfach kaputt geht, wie schade.
Bei Reisezielen, in denen die Infrastruktur nicht so ist, daß man Restaurants in der Umgebung hat, bietet sich All Inclusive sinnvoll an, aber alle anderen, die ein tolles Umfeld haben, springen auf den gleichen Zug auf.

Menorca nannten wir die "Pampers-Insel", weil sie überaus begehrt bei Familien mit kleinen Kindern war und enorm viele Appartmentanlagen hatte, in denen sich die Familien selbst verpflegten.
Heute hat die Mehrheit dieser Anlagen auf All Inclusive umgesattelt.
Auf Mallorca, besonders am berühmt-berüchtigten Ballermann, waren doch die meisten Gäste so lange feiern, daß sie noch nicht einmal das Frühstück mitbekamen. Es wurde Halbpension gebucht und davon meist nur das Abendessen in Anspruch genommen. 
Auch hier wird heute viel All Inclusive gebucht. Der Sinn erschließt sich mir nicht, wenn man doch eigentlich gern ausgehen und feiern möchte.
Selbst im  beliebten Thailand, wo man wirklich überall gut und günstig essen gehen kann, wird heute nach All Inclusive gefragt.

Die Welt dreht sich in Windeseile, die Kunden entdecken das Internet für sich und begeben sich selbst auf die Online-Reisesuche. Und buchen Ziele, die nicht zu ihnen passen, landen an Flughäfen, wo sie gar nicht hin wollen und buchen Ferienhäuser, die es gar nicht gibt.
Berühmt berüchtigt ist der Fluggast, der sich nach KEF einbuchte, weil er meinte, das wäre das griechische Kefalonia. In Wirklichkeit ist es Keflavik in Island!
Wir reden uns den Mund fusselig, daß die Pauschalreise von alltours oder TUI bei uns nicht mehr kostet als im Internet. Beratung und Hilfestellung gibt´s sogar gratis dazu. Ok, bei uns kann man nicht in der Nacht um 1:35 h buchen. Aber muß man das???
 
Man vertraut den Bewertungen von Menschen, die jeden Unsinn ins Netz stellen, bucht kein Hotel mehr, daß nur 65 Prozent Weiterempfehlungsrate hat, obwohl dies doch immerhin eine ordentliche Mehrheit ist.

Doch erfreulich viele junge Menschen wenden sich bei der Urlaubssuche an uns Reisebüros. Gerade die, von denen man glaubt, sie seien die Generation, denen das Handy an der Backe angewachsen ist, haben keine Lust, bei der Reisesuche im Internet Tage zu verbringen, um dann total verwirrt doch nicht weiter zu kommen.
Ihnen ist die freie Zeit mit Freunden und Familie wichtiger, und so vertrauen sie uns ihre Urlaubsplanung an. Natürlich gefällt mir diese Entwicklung sehr, und ich mag es, junge Leute zu beraten.
Im Gegensatz zu den 90er Jahren möchten anscheinend alle Urlaubssuchenden auf keinen Fall ein Hotel mit weniger als 4-Sternen, so daß ich der Welt vorschlage, ihre sämtlichen 3-Sterne-Hotels abzureißen.

Alles in Allem ist man jedoch gelassener geworden was die Weltsicherheitslage anbetrifft.
Gab es in den 90er Jahren irgendwo in der Türkei ein kleines Erdbeben, stornierten sofort alle. Gab es gar einen Anschlag irgendwo, wurde sofort auf ein anderes Reiseziel umgebucht.
Gab es kriegerische Auseinandersetzungen 1000 km von der Türkei entfernt, flog man nicht mehr in die Türkei, wo doch der Krisenherd "Balkan" auch nicht weiter von uns entfernt war und wir demnach besser alle hätten auswandern müssen.
Aber Angst regierte die Entscheidungen enorm, und wahrscheinlich konnte ich mich damals auch selbst nicht davon ausnehmen.
Heute weiß man, es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Selbst in der eigenen Stadt nicht.
Also wird munter die Welt erkundet, außergewöhnlicher als in den 90ern und wesentlich gelassener.
Wer will sich auch das Reisen verbieten oder vermiesen lassen?
Der Urlaub ist und bleibt eben eine der schönsten Zeiten des Jahres.

 



Kommentare

  1. Die Veränderungen in der Reisewelt sehr anschaulich und amüsant beschrieben!

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