Britisches Understatement - verzweifelt gesucht!

Da sitze ich nun in meiner Brook Lodge in Essex, mit schmunzelndem Gesicht und vielen Gedanken im Kopf.
Da wir irgendwie ständig essen gehen anstatt selbst zu kochen (das Pub-Food ist so lecker, nein, wir sind zu faul, oder halt beides), hatte ich viele Gelegenheiten, die Leute um mich herum zu beobachten und auch mal hinzuhören.
Da geht ein Mann zur Theke im 'Swan Inn' (großes Lob hier übrigens für die Fischplatte und die Pizza mit marinierten Zwiebeln, die Ente, usw., wir haben fast alles durch) und bestellt sich beim Kellner Salz. Man hat ja hier und da gehört, daß in England so gut wie gar nichts gewürzt wird, was ich bis auf das Gemüse nicht grundsätzlich bestätigen möchte. Auf jeden Fall braucht er wohl für irgend etwas Salz. Der Kellner verspricht, ihm welches zu bringen, und jetzt geht es los mit der Dankes-Hudelei, die ich so sehr mag, aber selbst nie fertig bringe.
"You are very helpful, thank you. Thank you so much, brilliant, cheers!'
Wörtlich übersetzt (nicht übersetzerfachmännisch, aber lustiger und einprägsamer):
"Sie sind so hilfsbereit, danke schön. Danke Ihnen so sehr, brilliant, Prost!"
Und das alles für etwas Salz!!! 
Nun gut, ich weiß natürlich auch, daß das saloppe CHEERS vieles heißen kann, u.a. auch nochmal 'Danke', aber auch 'Tschüss'.
Nur der Gedanke, daß der ein 'Prost' an seine Dankeshymne gehängt hat, bringt mir ein Grinsen ins Gesicht. Prost Mahlzeit dann auch!
Als die Kellnerin unsere leergeputzten Teller abräumt, fragt sie, ob wir es genossen haben (enjoy).
Nein. Halt, sie fragt erst, ob wir zu Ende gegessen haben (finished)! Na klar, haben wir gefinished, ist ja nichts mehr auf dem Teller.
Ob es uns geschmeckt hat beantworte ich mit 'perfect' und komme mir unglaublich englisch vor, so sehr habe ich das Essen gelobt, wo ich doch zu Hause maximal ein 'gut, danke' herausbekommen hätte.
Und das Essen war fantastisch, aber ich glaube wirklich, wir Deutschen können das nicht so beweihräuchern, nicht so übertrieben bejubeln. 
Mein Mann hatte gerade noch am Vorabend das Thema angeschnitten, ob die Briten das wohl auch immer so ehrlich meinen, es höre sich immer so wahnsinnig übertrieben an. Auch bei meiner Brieffreundin aus Schottland ist er sich nicht sicher, ob ihr 'fantastic, gorgeous, brilliant, splendid, marvellous etc.. pp.' ihre wahre Meinung ist.
Ja, ich denke, das ist schon so.
Aber wo bleibt denn da das viel gerühmte britische Understatement, die Untertreibung?
Es wird doch hier um so vieles ein extremer Hype gemacht, und ich will doch gar nicht bezweifeln, daß das 'Be-Hypte' auch gut ist, aber ist es denn wirklich brilliant, wenn einem einer Salz bringt?
So vieles ist 'award winning', also preisgekrönt. Essen, Strände, Bier, gar Toiletten auch! Alles schon gesehen.
Für alles mögliche bedankt man sich nicht nur einfach, sondern fällt quasi mit Worten der Dankbarkeit auf die Knie.
Als Beispiel hier eine Situation beim Einchecken auf einem Campingplatz vor einigen Jahren.
Ich stehe an, ganz ordentlich in einer korrekten Schlange, der Kopf der Schlange direkt vor mir. Und der Schlangenkopf bekommt gerade auf einem Plan eingezeichnet, wo auf dem Areal sein Stellplatz zu finden ist. 
Statt aber einfach mit einem 'thank you' den Zettel zu greifen und sein Wohnmobil dorthin zu manövrieren, folgt eine Dankes-Arie sondergleichen. "My darling, you are so very kind. Thank you very much indeed, this was a great help". Übersetzt: "Mein Liebling, Du bist so nett. Also wirklich meinen allerbesten Dank, das war eine große Hilfe für mich". 
Mal ehrlich, die Platzwartin hat ein Kreuz auf ein DIN-A-4-Blatt gemalt, und der Camper bedankt sich, als hätte sie ihm eben sein Leben gerettet.
Wo bleibt denn hier das Understatement?
Und doch, man findet es, es existiert wirklich!
Letztens auf einem Flug mit British airways nach London musste das Flugzeug von der Startbahn wieder zurückkehren, weil irgend etwas defekt war. Der Pilot klärte uns auf, daß eine Tür nicht richtig verschlossen wäre und er hätte grad nicht den passenden 16er Schlüssel in der Jackentasche. 
Der Techniker, der daraufhin das Flugzeug betrat, hatte allerdings auffallend viel Werkzeug dabei. Mit einem 16er Schlüssel wäre es sicher nicht getan gewesen. Das war Understatement zur Beruhigung, um die Lage zu entdramatisieren. Gelungen, na ja, so einigermaßen.

Auch passend zu diesem Thema die Situation auf P&O Ferries (siehe mein Post zur Irlandreise im Juli), als wir in Rotterdam extrem lange auf das Andocken warten mussten und die Leute doch schon entweder in Heimfahrstimmung waren oder aber ihre wertvolle Zeit auf dem Minitrip nach Amsterdam schrumpfen sahen. Wir dümpelten und dümpelten, weil sich angeblich ein Öltanker auf unseren Liegeplatz geschlichen hatte. Daraufhin kochte der Kapitän die unangenehme Verspätung mit den Worten herunter, es wäre doch so schönes Wetter, die Sonne scheint, gehen Sie doch an Deck und genießen die Verspätung. Understatement gepaart mit britischem Humor nenne ich das. 
Ich glaube allerdings, der Kapitän war Holländer, doch färbt hier der britische Arbeitgeber ganz deutlich ab.
Das Understatement tritt auch zu Tage, wenn es um das Wetter geht. Draußen gießt es in Strömen seit Stunden, und der Kommentar meiner Brieffreundin lautet: "The weather is not too bad", das Wetter ist nicht so schlecht. 

Ich bedanke mich für soviel Aufmunterung mit einem "thank heaven for this wonderful, refreshing, skin renewing soft weather" (dem Himmel sei Dank für dieses wundervolle, erfrischende, die Haut erneuernde seichte Wetter).
Na also, geht doch!



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