Ab durch die Hecke zum Traumhotel nach S.

Nachdem uns Plymouth nicht haben wollte, oder genauer gesagt, wir wollten Plymouth nicht, war in South Brent ein Ersatz gefunden. Für eine Nacht. Doch in Plymouth waren zwei Nächte vorgesehen, auch das noch. Wie konnte ich nur? Nun galt es, noch schnell zwei Betten woanders zu finden, was zur Weihnachtszeit wahrlich kein einfaches Unterfangen ist.
Genau in diesem Wissen hatte ich mich ja bereits im März um Unterkünfte bemüht.
Ich höre schon den einen oder die andere sagen, daß doch im Dezember sowieso niemand nach England fährt. Wer ist schon so verrückt wie wir? Wer möchte schon freiwillig auf Sonne verzichten, auf Wärme und Strand?
Es macht doch am besten sowieso jeder das, was ihm gefällt. Und ich bin nicht wärme-resistent und brauche einen Strand maximal zum Aufs-Meer-Gucken-und-die-Weite-bestaunen, nicht jedoch für ausgedehnte Badefreuden.
Und England? Nun ja, ich bin ein wenig abhängig, und außer der Tatsache, daß ich dort in der größten britischen Drogeriemarktkette meine ultimative Gesichtscreme gefunden habe, hat das Land selbstverständlich auch noch anderes zu bieten.
Sehr, sehr urige Hotels zum Beispiel, in traumhaft schönen Lagen.
Ein solches war dann auch nach einigen "fully-booked"-Versuchen gefunden. Nennen wir die Gegend, wo es steht, doch einfach einmal "Pampa".
Salcombe heißt der Ort, wo es steht, oder an dessen Rand es steht. Mich hat allein der Name des Ortes gereizt, denn es gibt eine Geschichte in dem Buch "Gebrauchsanweisung für England", in der der Autor Heinz Ohff von seinen unglaublichen Erlebnissen in einem "Guesthouse" in S. erzählt. Es soll auf der Grenze der Grafschaften Devon und Cornwall liegen und dermaßen mit den Do-it-yourself-Basteleien des Besitzers vollgestopft sein, daß einem ganz bange wird, denn sie funktionieren halt fast alle nicht und ufern sogar in gefährliche Manöver aus.
Der Name wird natürlich nicht genannt, und den Ortsnamen mit S. abzukürzen, kurbelt erheblich meine Fantasie an. Ich stelle mir vor, S. könnte Salcombe sein. 
Aber man braucht jetzt gar nicht erst Google zu bemühen und den Ort suchen, ich kann auch so schon sagen, daß er viel mehr in Devon liegt als an der Grenze. Aber das ist ganz egal, denn für mich heißt es jetzt: "Auf in mein persönliches S."

Der Straßenatlas verspricht eine Route dorthin durch eine so genannte "Area of Outstanding Natural Beauty", also ein Landstrich von herausragender natürlicher Schönheit. 
Auch wenn man den Briten einen Hang zum Untertreiben nachsagt, stelle ich doch immer wieder das Gegenteil fest. Man findet allerorts Preisgekröntes, Herausragendes, Fantastisches, Medaillen-Gewonnenes oder Stolzes. Ich habe sogar schon eine Toilette gefunden, der man mit dem Titel "award winning" (preisgekrönt) in völliger Unbescheidenheit zu Ruhme verholfen hat.
Diese "Areas of Outstanding Natural Beauty" bekommen von mir allerdings sehr wohl das mir eigene Gütesiegel "stimmt", denn hier gibt es einige unglaubliche Landschaftskaliber, die einen in höchste Verzückung versetzen können, und die Küste der Grafschaften Devon und Cornwall gehören für mich definitiv dazu.
Immerhin gibt es einen Dachverband dafür, der sich um die Landschaftsplanung kümmert und Planungsvorschriften erlässt. 

Nun möchte ich den Weg zu meinem S. mit dem Besuch einiger netter Orte aufpeppen und finde auf der Landkarte "Kingsbridge". Ganz genau, wer die "Säulen der Erde" gelesen hat, vermutet jetzt dasselbe wie ich. Allerdings ist der Roman-Ort rein fiktiv und nicht identisch mit Kingsbridge in Devon. Macht aber nichts, denn meine Fantasie überrumpelt ganz leicht die Fakten. Ich war in Kingsbridge, und das ist alles was zählt.
Darüberhinaus wird es allerdings schon dunkel, so daß meine Äuglein von der herausragenden Landschaft Richtung Küste nicht mehr wirklich profitieren.
In der Dämmerung biegen wir in eine noch kleinere, sehr schmale Straße ab, an deren Beginn ein Hinweisschild warnt, daß sie nicht  für  "HGVs", das sind Schwerlastwagen, geeignet ist.
Wir sind kein "HGV", sondern ein mittelgroßes Wohnmobil, also nichts wie hinein in die Straße. Ich komme leider nicht umhin, mich an eine ähnliche Situation vor vielen Jahren zu erinnern, in der wir ebenfalls in eine solche Straße abgebogen sind und am Ende aus dem nächsten Örtchen (übrigens mit dem für sich sprechenden Namen Mousehole)  nicht mehr herauskamen, ohne ein Haus seiner Regenrinne zu berauben.
Neues Spiel, neues Glück, oder wie immer meine Devise auch heißen mag, schiebe ich diese Erinnerung schnell zur Seite. Wo am Ende einer solchen Straße ein Hotel liegt, da müssen auch Zulieferer hin, also wird es passen.
Ab durch die Hecke geht es dann, im Dunkeln, Mauer links, Mauer rechts und Hecken oben drauf und ringsherum. Gegenverkehr darf auf keinen Fall kommen, denn über mehrere Meilen habe ich keine etwas verbreiterte Passierstelle gesehen. Sofern man überhaupt von "Sehen" sprechen kann bei der Dunkelheit.
Dieses Straßenbeispiel rechts ist der Anfang des Desasters, aufgenommen am nächsten Morgen, als man dann wenigstens sehen konnte, welche Hecken das schöne Wohnmobil zerschrammt haben. Das wird eine schöne Poliererei, und ich sehe mich schon zur Mithilfe als Strafarbeit verdonnert, denn natürlich wollte nur ich ganz allein in dieses schöne Hotel nach S.

Ich werde im Beifahrersitz immer kleiner, nervöser und unruhiger. Der Urlaub ist gelaufen, schießt es mir durch den Kopf. Hier kommen wir nie wieder raus, und heimlich schwöre ich, niemals wieder in eine "unsuitable-for-HGVs-Straße" zu fahren.
Die beruhigende Stimme meines Mannes soll mich aufbauen. Es wäre ja nicht mehr so weit. Woher weiß der das denn? Wir sehen hier überhaupt nichts, und in dieser einsamen Gegend funktioniert das GPS nicht. Was einerseits völlig egal ist, denn es gibt nur diese eine Straße, man kann nirgends wenden oder abbiegen. Andererseits wäre es tatsächlich schön zu wissen, wie lange diese Tortur noch dauern könnte.

Jede Straße hat auch einmal ein Ende. Bei dieser hier ist es das offene Meer, in das ich uns bereits schießen sehe, weil der Weg kurz vor dem Hotel nochmal alles gibt, um uns das Fürchten zu lehren.
Dann endlich sind Lichter in Sicht. Genau, ich habe zu erwähnen vergessen, daß es die ganze Strecke entlang keine Straßenlaterne gibt. Und Häuser anscheinend auch nicht. Oder sie haben alle extra das Licht ausgemacht, damit wir keine Orientierung haben.

Wie auch immer es geklappt hat, das Hotel liegt vor uns und hat einen riesigen Parkplatz. Donnerwetter! Da präsentiert sich nach all dem Gequetsche der Hotelparkplatz wie ein Rollfeld.
Das Wohnmobil weint und schämt sich in einer Ecke, weil es auch noch so extrem dreckig geworden ist.

Wir gönnen uns ein richtig gutes Dinner im Hotelrestaurant, von wo aus, man kann es schon ahnen, uns am Morgen eine herrliche Aussicht überraschen wird.

Wie erwartet entpuppt sich das "South Sands Hotel" als wahres Traumhotel. Direkt am Strand. Eine mega Aussicht und ein Wetter zum Sterben schön! Die Krönung des Frühstücks, ein noch nie da gewesenes Erlebnis, ist Porridge mit Salz und Whisky! Als Beifahrer habe ich das Privileg dieser Wahl, genieße und schweige. So muß Urlaub sein! Mein schönes kleines S. Und bitte schön kein klappriges B&B wie in Ohffs Gebrauchsanweisung. Alles funktioniert zum Besten. Hier möchte man bleiben - für fast immer.


Am Ende sei noch erwähnt, daß die Hotelbesitzer uns für wahnsinnig erklärt haben, daß wir die Straße gewählt haben, die wir gekommen sind. Es gibt eine andere, natürlich bessere. Immer schön der Küste entlang, mit Aussichten zum Verrücktwerden und relativ weit entfernten Hecken und Mauern.
Wie langweilig!


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