Der pinke Info-Point am Markusplatz

Die Wetter-App verspricht einen sonnigen, warmen Tag. Hoffentlich nicht zu heiß, denn ich erinnere mich gerade an unsere Orchesterreise nach Venetien im Hochsommer vor einigen Jahren, wo es in der Lagune von Venedig einfach nur unerträglich war. Nichts für Reisende wie mich, die ab 25 Grad schon leiden und zickig werden.
Das von mir für meine Gäste exklusiv gemietete Boot setzt uns überpünktlich am Markusplatz ab. Die Gäste bekommen noch 20 Minuten Freizeit für die ersten Fotos, bis wir unsere Stadtführerin treffen.
Ich stelle mich derweil zwischen die beiden Säulen am Platz und mache mich kenntlich mit einem pinken Tuch, das ich an einen Schirm gebunden habe.
Pink sieht man immer, und es ist schon eine Art Markenzeichen von mir geworden. Wenn ich überlege, daß ich mich vor Jahren bei der Geburt meiner Nichte noch eisern geweigert habe, ihr irgendwas in dieser doofen Mädchenfarbe zu kaufen, habe ich jetzt bei mir selbst gehörig was falsch gemacht.
Doch zurück nach Venedig.
Da stehe ich also in mittlerweile sich aufbauender Hitze mit meinem pinken Leuchtturmgebilde und halte Ausschau. Das tun mit mir noch gefühlte tausend andere Menschen, allen voran irgendwelche Gruppenleiter, die ebenfalls ihre örtlichen Tourguides suchen, oder venezianische Stadtführer, die ihre Gast-Gruppen suchen. Aber auch einzelne Touristen aus aller Herren Länder, die herum irren und irgendwas wissen wollen.
Jemand, der mit einem Schirm einsam vor sich hinsteht, muss sich auskennen und allwissend sein.
„Sind Sie von Ehrenfeld Reisen?“ fragt mich der erste. Bin ich nicht. Ich warte selbst auf meinen Guide. 
„Where is the bridge of sighs?“ fragt ein eindeutig amerikanisches Ehepaar. Ich deute auf den Uferweg hinter mir und erkläre, daß die Seufzerbrücke die zweite da hinten ist.
Eine Frau sucht ihren Mann, den sie am Eingang des Dogenpalastes treffen wollte. Wo ist denn der? Also der Eingang. Weiß ich glücklicherweise auch und leiste bereitwillig Hilfestellung.

Da spricht mich jemand auf französisch an, ob ich wohl der „guide-interprète“ bin, mit dem sie um 11 Uhr Rendez-vous haben.
Sehe ich französisch aus? Oder etwa wie eine Venezianerin, die französisch spricht? Guck doch mal, wie teutonisch blass ich bin!
Egal, ich betrachte es als kleine Wiederauffrischungsminute in Französisch und sage, dass ich auch auf eine Stadtführerin warte, und sie soll sich doch in einer Viertelstunde noch mal Gedanken machen, ob sie vergessen wurde oder nicht, aber noch nicht eine Minute nach der vereinbarten Zeit.

„Sind Sie die Gruppe mit den 20 Personen aus München?“ Ein Stadtführer sucht seine Gruppe. Nein, aber ich könnte mit einer doppelt so großen Gruppe aus Paderborn aushelfen. Er will nicht. 
Zwei schottische Jugendliche  - ja, das kann ich hören, daß sie aus Schottland kommen - möchten dann von mir wissen, wo sie eine Bank oder Wechselstube finden können. Kurz bin ich versucht, ihnen einen Tauschhandel anzubieten, denn britische Pfunde kann ich für meine Reisen immer gebrauchen.
Mit welchem Kurs sollte ich ihnen wohl meine Euros anbieten? Mit Bearbeitungsgebühr oder ohne? Ich winke ab, weiß nicht, wo die nächste Bank ist.

Ein strubbeliger Mittvierziger, umringt von einer Reisegruppe will mal eben fragen, ob ich für seine Gruppe aus Kassel da stehe. Nein, tue ich nicht.

Es ist der helle Wahnsinnn was so ein „betuchter“ Schirm ausmacht. Ich komme mir vor wie eine Infobox. Doch wie herrlich ist es, auf diese Weise meine Sprachkenntnisse aufzufrischen. Ein bisschen Englisch, etwas Französisch und auch mal ein bis drei Sätze Italienisch. 

Etwas Wind kommt endlich - und meine Stadtführerin auch. 
Zu schade, denn ich hätte gern noch weiter hier gestanden bis man mich irgend etwas fragt, was ich richtig Klasse finde und motiviert werde, zu sagen: JA! Ich bin genau die, auf die Sie gewartet haben!



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