Social distance, please. Schottland trotz Corona
Reisen in Corona-Zeiten. Manch einer verübelt es mir und all denen, die jetzt trotzdem Urlaub machen. Ich teile aber deren Ansicht, dass ich Hygiene und Abstand auch im Ausland halten kann. Ich will einfach nicht mehr nur in meinen eigenen vier Wänden hocken. Ich will raus! Und ich will nach Schottland. Wo sonst in Europa ist es so leicht, vielen Menschen aus dem Weg zu gehen?
Also auf geht´s zu einer zehntägigen Tour. Mit mir reisen
29 Personen, und wir alle halten Abstand, auch ganz gut voneinander, obwohl wir
uns natürlich am liebsten alle fünf Minuten umarmen würden, weil wir so viel
Schönes erleben.
Wir reisen per Bus. Oh je, dieses böse, böse
Verkehrsmittel, in dem die Menschen sich ja so furchtbar nahekommen. Doch halt!
Der Abstand voneinander ist extrem gut in unserem Fahrzeug.
Beinfreiheit: 1 Meter.
Gut, wir müssen Maske tragen, doch mit regelmäßigen
Pausen ist das gar kein Problem, und die Etappen sind auch kurz, mit Ausnahme
des zweiten Tages, an dem wir vom nordenglischen Newcastle etwa 400 km bis
Aviemore in den Highlands fahren.
Aber da sind wir dann für mehrere Nächte und können auf
Ausflügen die tolle Landschaft der Natur erleben.
Wir sind gespannt: Eis ist Hochsaison, also könnten doch die Ferien-Abhängigen
unterwegs sein. Auf unserem Weg haben wir allerdings weder irgend eine Stau,
noch sehen wir irgend einen anderen Reisebus. Ich hab´s ja schon bei der
Schweiz-Reise im Juni gesagt: Wir sind überall die Ersten!
So auch hier.
Aviemore ist in der Tat ein Touristenmagnet, aber natürlich nicht so wie viele
Orte am Mittelmeer. Hier zieht es Wanderer hin, Spaziergänger,
In-die-Landschaft-gucker, Fahrradfahrer und Whiskyliebhaber.
In zwei der Kategorien ordne ich meine Gäste und mich
ein, und ich kann verraten, es ist nichts Sportliches...
Das MacDonald Highlands Hotel ist nicht voll belegt, was zu erwarten war.
Dennoch sind es nicht wenige Touristen, die sich hierher gewagt haben, aber es
ist überschaubar und angenehm. Social-Distance-Schilder überall. Man kann dem
nicht entkommen. Allerorts der fromme Wunsch, gesund zu bleiben - stay safe! -
und sich andauernd die Hände zu waschen.
Das Personal im Hotel hält ebenfalls Abstand. Könnte das der Grund sein, dass
sie ständig irgend etwas zu bringen vergessen? Es drängt sich mir der Eindruck
auf, dass sie einfach nicht so lange am Tisch verweilen wollen und bringen
daher mal Toast, mal Butter, und den Kaffee erst zum Schluss, wenn man bereits
zu Ende gefrühstückt hat.
Aber nein, das hat nichts mit Corona-Maßnahmen zu tun. So ist es oft in
Schottland. man braucht extrem viel Geduld und wird quasi gezwungen, sich zu
entschleunigen.
Es gelingt uns einigermaßen.
Noch am ersten Tag steuere ich automatisch jeden Desinfektionsmittel-Spender an,
der sich mir in den Weg stellt, und das sind nicht wenige. Ich ertappe mich
dabei, dass ich sogar in ein und demselben Laden auf jeden Spender drücke,
einfach nur so, wie von einem unsichtbaren Leitstrahl geführt.
Kann ja nicht schaden. Hauptsache, die Haut blättert nicht irgendwann ab.
Ich fühle mich sicher. Jeden Tag, überall und in jeder Situation.
Man kann sich wunderbar ausweichen. Im Garten von Cawdor Castle sind wir die
ersten, die ihn besuchen, denn er hat erst kürzlich geöffnet und nur wenige
Touristen trauen sich.
Dabei hat jeder von uns gefühlt mehrere Beete für sich.
Genauso im Ballindaloch Castle. Hier überraschen uns die Besitzer, Lord und
Lady MacPherson-Grant, die sehr erstaunt, aber höchst "amused" sind,
uns hier zu begrüßen.
Sie quetschen uns aus, wo wir überall hinreisen, was unsere Eindrücke und
Erfahrungen sind. Nun denn, ich kann nur Positives berichten. Ich fühle mich
wohl. Sagte ich schon? Egal, man kann es nicht oft genug wiederholen.
Bei angenehmen 24 Grad, Sonne und leichtem Wind bin ich äußerst froh, nicht in
meinem 38-Grad-heißen Heimatland zu schwitzen oder mich gar mit tausenden an
der Ostsee zu stapeln.
Ich genieße Freiraum, Natur und viel Platz in einem meiner Lieblingsländer und
könnte mir momentan nichts Schöneres vorstellen.
Corona ist nicht vergessen, aber für 10 Tage in den Hintergrund gerutscht. Die
ganzen Hygienemaßnahmen und -warnungen sind präsent, aber nicht
beeinträchtigend.
Der überaus schöne Friedhof neben der Burg von Stirling ist meiner! Zum
besuchen natürlich, nicht zum einziehen. Ich zähle 3 andere Personen außer
meinen Mitreisenden.
Die Burg selbst kann auch besichtigt werden. An Corona erinnert mich hier nur,
dass das Personal gerade kistenweise Desinfektionsmittel in die Burg schleppt.
Zwangsläufig denke ich an die Schlachten gegen die Engländer, die hier tobten.
Monatelange Belagerungen und zermürbende Bombardierungen mit dem damals
innovativen Trebuchet.
Sollte die Burg in diesem Moment abgeriegelt werden, so leidet jedenfalls viele
Monate lang die Hygiene nicht.
In Edinburgh schlendern wir durch die Stadt und treffen einige Menschen. Für
die schottische Hauptstadt in der Hochsaison sind es allerdings überschaubar wenige.
Man findet viele freie Bänke in den Princes Street Gardens, was an ein Wunder
grenzt.
Der Weg am Felsen entlang rauf zur Burg ist gesperrt. Sollte man eventuell hier
kein "social distancing" hinbekommen? Doch daran liegt es nicht. Es
droht Steinschlag, das ist der Grund.
Gehen wir also ordentlich außen um den Burgfelsen herum und bekommen hier
ebenfalls einen Eindruck von diesem wirklich uneinnehmbaren Bollwerk. Auf der
Burg-Esplanade herrscht gähnende Leere, so dass man sich nicht mit Hunderten um
einen Aussichtspunkt prügeln muss. Eigentlich wäre es schön, wenn das immer so
wäre.
Am Grassmarket sind alle Pubs und Lokale geöffnet. Das Wetter ist hervorragend,
so daß man die Außengastronomie nutzen kann. Die Registrierung für "track
and trace" wird einem leicht gemacht. Handy an einen Barcode halten und
fertig. Maximal noch seinen Namen eingeben, und das war´s dann auch schon.
Mich stört es nicht, dass nun alle möglichen Einrichtungen meinen Namen haben.
Die Anzahl der Biere und Weine werden ja nicht gezählt. Das beruhigt mich doch
sehr. Aber Spaß beiseite, ich darf mich natürlich nicht besaufen, denn ich muss
ja noch meine Gäste führen.
Mit einem extra gemieteten Tourguide-System geht das wunderbar. Noch nie bin
ich leise vor mich hin brabbelnd durch eine Stadt gegangen, mehrere Personen im
Schlepptau, die aber ihrerseits in angemessener Entfernung schlendern und alles
mitkriegen, was ich erzähle.
In der Whiskydestille "Dalwhinnie" sind wir die ersten und einzigen.
Aber das sollte nun mittlerweile ja klar sein. Hier wird tatsächlich einmal
Fieber gemessen. Ich habe mit 34 Grad Untertemperatur und darf beruhigt
eintreten.
Vier Whiskies mit jeweils korrespondierender Schokolade werden gereicht. Die
Schokolade schmeckt mir.
Ich bin halt kein Whisky-Fan, habe aber solche in meiner Gruppe, und wir
beschließen tatsächlich, im nächsten Mai eine komplette Whisky-Tour zu machen.
Na dann "Slaínte".
Mein persönliches Highlight ist letztlich eine Bootstour zum Bass Rock. Es ist
gerade 3 Wochen her, dass ich bereits in North Berwick war und an einer
teilgenommen habe, aber da geht noch mehr. Ich könnte ja einen der 15.000
Basstölpel übersehen haben. Dieses Erlebnis kann ich nur jedem empfehlen, und
hier taucht dann auch endlich einmal der Vorteil eines Mund-/Naseschutzes auf,
denn man schützt sich in der Tat vor dem ganzen Vogel-Kack-Gestank, der die
Insel umgibt.
Fazit: Corona kriegt mich nicht klein. Ich reise weiter, denn ich möchte mich
nicht verschanzen und all das verschieben, was ich noch sehen will.
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