Bedarfsermittlung und Fairness im Reisebüro

Die Bedarfsermittlung ist ein großartiges Wort. Ich benutze es jeden Tag, beziehungsweise mache das jeden Tag, um herauszufinden welche Wünsche meine Gäste im Urlaub erfüllt haben möchten und welche Ansprüche sie an ihn stellen.

 


Die Bedarfsermittlung öffnet mir das Tor zu den Vorstellungen meines Kunden und soll mir zeigen, was er wirklich will.
Das heißt natürlich noch lange nicht, dass diese Vorstellungen auch alle realisierbar sind. Nun ja, realisierbar ist bei der Urlaubsplanung eigentlich fast alles, man muss nur das nötige Kleingeld dafür investieren und zeitlich flexibel sein
Es gibt in unserem Land eine Vielzahl wunderbarer Verkaufstrainer, die in Seminaren erklären, was man tun muss, damit der Kunde auf jeden Fall sofort bucht.
Sie empfehlen eine gründliche Bedarfsermittlung und haben Recht damit, man muss das auf jeden Fall machen. 
Sie haben allerdings nicht Recht, wenn sie behaupten, dass der Kunde nach der Ermittlung seiner Wünsche, und nachdem man ihm das zu 100 % passende Hotel herausgesucht hat, auch sofort bucht, weil ja schließlich alles passt und er es genau so haben wollte.
Der Urlaubssuchende kommt entweder mit dem festen Vorsatz ins Reisebüro, justamente heute zu buchen oder nicht. Braucht er Bedenkzeit, nimmt er sie sich. 
Ich kann das verstehen, wobei ich bei der heutigen Preispolitik von Veranstaltern, Hotels und Fluggesellschaften beim Kunden am liebsten das Lasso auswerfen und ihn fesseln möchte, damit er die Chance auf einen guten Preis nicht durch das "drüber schlafen" verpatzt.
Anderer Tag - andere Preise. Ach, was sage ich: Morgens so, nachmittags teurer.
So ist das Leben.

 


Und da ich oben schon geschickt zum Preis gelenkt habe, darf man nicht den Geldbeutel aus den Augen lassen, der bei jedem unterschiedlich groß oder klein ist. 
Und wenn er auch manchmal groß und so gut gefüllt ist, daß der glückliche Geldbeutelbesitzer die dingfest gemachten Wünsche alle lässig bezahlen könnte, kommt noch seine Einstellung hinzu, ob er am Ende bereit ist, dieses Geld auch für seine Wünsche zu investieren.

Ich hatte mir schon seit langem angewöhnt, bei einer Beratung zwar nicht zu allererst, aber doch ziemlich am Anfang zu fragen, über welches Budget der Gast verfügt, oder welche Summe ihm der Urlaub wert ist. Hier gibt es nämlich große Unterschiede, denn es gibt Menschen, die verfügen über genügend finanzielle Mittel, möchten diese aber nur zu einem minimalen Bruchteil für ihren Urlaub einsetzen. Warum auch immer er ihnen dann nur minimal Geld wert ist, das werde ich wohl nie verstehen.

Doch auch hier gilt selbstverständlich die Devise: Jeder Mensch ist anders. 

Ich fragte also recht früh nach, welches Budget zur Verfügung steht, und damit erwischt man die meisten Gäste eiskalt, denn sie möchten eigentlich ungern Summen nennen, weil sie fürchten, dass ich sie dann an der Angel habe und das komplett ausreizen werde. Das ist natürlich gar nicht der Fall, hilft mir als Berater aber sehr bei der Auswahl der Angebote. Und vor allem kann ich abschätzen, ob man für diese Summe auch wirklich etwas Gutes bekommt. 
Manchmal ist es tatsächlich so, dass ich mir 1 Stunde Arbeit ersparen kann, wenn ich von vornherein schon weiß, dass die Wünsche nicht realisierbar sind. 
Ich kann eben in der Hochsaison auf Mallorca kein Vier-Sterne-Hotel mit "All-inclusive"-Leistungen für 500 € für zwei Wochen bekommen.
So mancher von Euch wird jetzt sicher sagen, daß das schließlich jeder weiß.
"No comment"!
Schmerzlich für den Gast, aber einfach nur fair, das von vornherein klarzustellen, statt mit meinen schönen Hotelbildern über den Wolken zu schweben und nach dem karierten Maiglöckchen zu suchen, das es sowieso nicht gibt.
Interessant bei der Frage nach dem Budget ist auch immer wieder, wie viele Kunden daraufhin meinen, sie wüssten es nicht. Sie wissen es schon. Jeder, du und ich, alle, haben ein Budget, das sie eingeplant haben. 
Ich freue mich immer sehr über alle, die mir dieses offen und ehrlich nennen, denn damit bilden wir eine faire Basis zur Beratung, ich schieße nicht übers Ziel hinaus und kann mir alles sparen, zu dem meinem Gegenüber ohnehin nein sagen würde.
Mit meinen Stammkunden funktioniert das übrigens seit Jahren wunderbar, denn man kennt sich halt schon lange. Mit neuen Kunden ist man da oft noch in einer Art Trainingslager.

 

Diese Methode will aber eben nicht immer so klappen, wie ich mir das vorstelle. Ich habe festgestellt, dass die wenigsten Gäste mir eine Summe nennen können oder wollen. Am Ende, wenn ich nach der Recherche dann ein Angebot vorstelle und den Preis nenne, erfahre ich es ja sowieso, was sie ausgeben wollten. Warum also nicht vorher? Gut, so ist nun einmal der Gang des Beratungsgesprächs. 

In letzter Zeit mache ich es anders. Ich klopfe tatsächlich erst einmal alle Bedürfnisse und Wünsche ab und habe mir angewöhnt, den Gast zu fragen, was er sieht, wenn er das Hotel betritt, was er sieht, wenn er das Zimmer betritt, und was er sieht, wenn eher dort aus dem Fenster schaut.
Und bei 80 % der Urlaub suchen lautet die Antwort, wenn sie aus dem Fenster schauen, dass sie dort das Meer sehen. Damit wäre davon auszugehen, dass der Gast ein Zimmer mit Meerblick möchte. Aber auch das funktioniert nur bedingt, denn den Paradeblick muss man meist extra bezahlen, und damit sind wir wieder beim Budget.

Diese wunderbare Bedarfsermittlung schließt dann auch noch die Frage nach der Flexibilität beim Abflughafen ein.
Hier kommen wir langsam wieder zu einem Normalzustand, und der lautet: 
Der Dortmunder (dort ist mein Reisebüro) ist mittlerweile Kummer gewöhnt und weiß, daß man von unserem Flughafen immer weniger interessante Urlaubsziele anfliegen kann.
Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich am liebsten in einer Nacht-und Nebelaktion die Plakatwerbung in die Emscher geschmissen (Umweltverschmutzungsgefahr hat mich davon abgehalten), die den Gästen suggeriert hat "Von Dortmund nach ganz Europa". Welch cleveres Köpfchen hat sich das denn ausgedacht? 
Ich erinnere mich noch ganz lebendig an die unglaublichsten Reiseziele, die Urlaubshungrige gern von Dortmund anfliegen wollten.
Man kann nicht anders, als dann unter Kollegen wetten, wann der nächste nach der Strecke "Dortmund-Oxford" oder "Dortmund-Pisa" fragt. Ist alles Europa, wird so beworben! 
Man kann es niemandem verübeln, danach zu fragen.

Mittlerweile sind wir zumindest in Dortmund im Zeitalter der dritten Aufklärung angelangt.
Nach der "Aufklärung", die um das Jahr 1700 einsetzte und durch rationales Denken Fortschritt bringen sollte, über die zweite "Aufklärung", die jedem Kind ab einem gewissen Alter bevorsteht, ist als nun die dritte "Aufklärung" erfolgreich durchlaufen, und die heißt: Ab Dortmund fliegt man fast nirgendwo mehr hin, wo man sich gemütlich in der Sonne aalen kann.
Auf einmal wird uns wieder bewusst, daß andere Städte auch schöne Flughäfen haben.Düsseldorf ist doch nicht aus der Welt, auch Köln ist ok, Paderborn erst recht.Du meine Güte, früher sind wir bis nach Frankfurt gereist, um interessante Ziele zu besuchen!

Aber zurück zur Bedarfsermittlung.
Der Abflughafen ist mit entscheidend, die Fluggesellschaft sowieso, und ich komme jetzt hier weder zum Bedauern, noch zum Zerpflücken der Air Berlin.Das gibt es in einem nächsten Beitrag.

Neutrale Beratung ist hier angesagt. Oft kommt die Frage eines hilfe- und entscheidungssuchenden Sommersonnenanbeters, wo ich denn Urlaub machen würde......
Antwort: "Schottland - auch gern im vor Nebel wabernden November...?.?..."
Das kann nicht die Hilfe sein, die er sich wünscht.  
Ich muß das Passende für IHN finden, nicht für mich.
Auch meine prophetischen Fähigkeiten in Sachen Wetter sind gefragt. Wo treten wann Stürme auf? Und wenn im Oktober, dann bitte wann genau?
Ich sage nur "Klimawandel".
Bedarfsermittlung die Zweite:
Der Nachbar hat einen ganz tollen Urlaub auf den Malediven gemacht und gesagt "da musst Du unbedingt hin!"
Mein Gast, der vor mir sitzt, geht aber gern wandern, und zwar auch gern bergauf und bitte nicht nur 20 Minuten um ein Mini-Eiland herum.
Es sind Extrembeispiele, und jeder weiß natürlich, daß die Malediven kein Wanderziel sind. Und dennoch, es zeigt die Komplexität der Beratung. Das Reiseziel, das den Nachbarn super glücklich gemacht hat, empfiehlt der natürlich, aber mein Gast hat vielleicht einen ganz anderen Bedarf. Sein Urlaub soll auch schön sein, aber nicht "Nachbar-schön".

Glücklicherweise habe ich ganz sicher 95% Treffer, und das entsteht aus einem fairen Miteinander.
Sagst Du mir, was Du wirklich willst, ausgeben willst, im Urlaub wirklich machen willst, mit welchem Hotelstandard Du tatsächlich zurecht kommst, dann bist Du auch ruck zuck in Deinem Wunschurlaub.

In diesem Sinne: Raus mit der Sprache zum "fair"reisen.


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